Brian Knappenberger drehte bereits 2012 mit „We are Legion: The Story of the Hacktivists“ einen Dokumentarfilm über Aktivisten, die sich für mehr Freiheit im Internet einsetzen und dabei gegen die US-Regierung wirken. Aaron Swartz war zwar auch Hacktivist, aber nicht Teil dieser porträtierten Anonymous-Gruppe. Knappenberger widmet seinem 26-jährigen Leben, das nach seinem Suizid im Jahre 2013 überraschend endete, mit „The Internet’s Own Boy: The Story of Aaron Swartz“ einen eigenen Dokumentarfilm, der international hoch beachtet wurde und in die engere Auswahl der diesjährigen Oscar-Nominierungen kam.

Swartz wird im Oktober 1986 geboren und fortan ein Wunderkind der Programmiersprache. Er kann mit drei Jahren lesen und ist auch später seinem tatsächlichen Lebensalter um Jahre voraus. Mit großem Eifer entwickelt er mit gerade zwölf Jahren eine Enzyklopädie, die zur Beteiligung aller Benutzer aufruft, lange bevor Wikipedia bekannt wurde. Zwei Jahre später trägt er entscheidend zur Verbesserung der RSS-Anwendbarkeit bei, ohne, dass die verantwortlichen Entwickler von seinem Alter wissen. Als sie es erfahren, wird er eingeladen und schon bald wirkt er in verschiedensten Projekten mit, hält souverän Vorträge und ist beispielsweise bei der überaus wichtigen Erfindung der Creative Commons-Regelungen beteiligt, die weitere, abstufende Möglichkeiten des Copyrights hervorbringt. Ebenso watchdog.net, Open Library und Reddit stammen unter anderem seiner Feder, einen intensiven Beitrag leistet er ab 2011 gegen den Stop Online Piracy Act (SOPA), ein erfolgreicher Kampf gegen millionenschwere Sponsoren, der weltweit für Aufsehen sorgt. Sein „Guerilla Open Access Manifesto“ (2008) ist eine wichtige Grundlage für die Open-Access-Bewegung, seine praktische Durchführung von diesen Idealen macht ihn bekannt.

Knappenberger holt Swartz’ Eltern, seine beiden Brüder, enge Freunde wie Lawrence Lessig und Partnerin Taren Stinebrickner-Kauffman vor die Kamera. Dabei entsteht ein sehr einstimmiges Bild des jungen Aktivisten, der nicht wegen des Geldes eine Rolle in der Welt spielen wollte, sondern aus einer grundsätzlich sehr optimistischen Haltung gegenüber einer harmonischen Weltbevölkerung: „I want to make the world a better place.“ Dies unterscheidet ihn maßgeblich von anderen Genies wie Bill Gates oder Steve Jobs. Dass er vom amerikanischen Sicherheitsservice letztendlich als Verbrecher festgenommen wurde, nachdem er eine Vielzahl journalistischer Arbeiten von „JSTOR“ auf Festplatten im MIT heruntergeladen hatte, sehen die Angehörigen mit absolutem Unverständnis und erklären ihre Sicht der Dinge. Die USA hatte in der Zeit von WikiLeaks und den etlichen Hackerangriffen eine regelrechte Anti-Terror-Kampagne gestartet; Swartz’ Ambitionen wurden mit den zweifelsohne kriminellen Absichten vieler anderer Hacker gleichgestellt. Das verhängte Urteil von 34 Jahren Gefängnis sollte als Abschreckung dienen, seine gerichtlichen Verteidigungskosten stiegen laut dem Vater in den Millionenbereich.

Swartz war ein Vernetzer und ein Lehrer, was Filme aus der Kindheit genauso wie Archivaufnahmen von Internetvideos oder Vorträgen eindeutig belegen. Seine frühe Begeisterung für Technik und Präsentation orientierte sich nicht nur an der Faszination zur Elektronik; Technologie war wie Magie für ihn und Magie kann Unvorstellbares zum Standard machen. Er wollte den Menschen durch das Internet eine Möglichkeit geben, aus sich herauszukommen, ihre Stimme zu benutzen und sie zu ermutigen, Meinungen und Kritik zu äußern. Seine gesunde Skepsis an den verankerten Systemen in den USA brachte ihn zu den vielen progressiven Gedanken, die er zu Lebzeiten unermüdlich verfolgte und dessen Umsetzung seine labile Psyche ruinierte, als die lebensbedrohlichen Hindernisse durch veraltete Konservativität Alltag gewonnen haben. Er wurde Opfer eines Teufelskreises, den er sicherlich nicht evozierte, sondern in den er vom Sicherheitsservice der Vereinigten Staaten geworfen wurde, weil diese weitere Sündenböcke suchten und ihn als Exempel abstempelten. Des Weiteren war es laut einiger Experten illegal, ihn aufgrund ebenso veralteter Gesetze (CFAA: Computer Fraud and Abuse Act) zu verurteilen, die interessanterweise als Konsequenz seines Todes mit dem Oberbegriff „Aarons Law“ erneuert wurden. Er wurde wegen insgesamt vierzehn Verstößen verhaftet, elf davon betrafen das CFAA. Diesem Druck hielt das Genie nicht stand, er setzte seinen Depressionen ein Ende und starb am 11. Januar 2013 in Brooklyn.

All dies wird in „The Internet’s Own Boy: The Story of Aaron Swartz“ wunderbar emotional eingefangen. Es sind bewegende Details, welchen den Dokumentarfilm sehenswert machen und zu Recht auf die Unschuld eines Pioniers plädieren, dessen Geist nicht mehr dem Geist des 20. Jahrhunderts entsprach. Welche Bedeutung seine Taten für immer haben werden, konnte man schon nach Meldung seines Todes bemerken. Selbst World-Wide-Web-Erfinder Tim Berners-Lee widmete ihm ein Gedicht, in weltweiter Anerkennung wurde er posthum in die Internet Hall of Fame aufgenommen. Ein weiteres Beispiel zeigt den wahren Kern seiner Bemühungen: Der sechzehnjährige Jack Andraka entwickelte 2013 einen verbesserten Bauchspeicheldrüsenkrebstest mit Hilfe von wissenschaftlichen Artikeln, deren Veröffentlichung aus Swartz’ illegalem Eingriff in die JSTOR-Datenbank resultierte. Man möge hoffen, dass noch viele weitere Entdeckungen auf seiner Progression basieren.

Meinungen

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