Die Highschoolschülerin Makoto Konno rennt die Stufen ihrer Schule empor, ihre Schritte werden immer schneller. Sie hat großen Mist gebaut, sie muss es rückgängig machen – und das ist wortwörtlich gemeint. Makoto kann Dinge rückgängig machen, denn sie kann durch die Zeit springen. Sie hält nicht inne, als sie auf dem Dach ihrer Schule angekommen ist. Ohne mit der Wimper zu zucken, rennt sie und springt … einer anderen Zeit, einem neuen Versuch entgegen.

Der fantastische „Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“ (2006) war der große internationale Durchbruch von Mamoru Hosoda, der davor für einige Folgen der Serien „Digimon“ und „One Piece“ verantwortlich war. Mit dem durch die Zeit springenden Mädchen standen ihm von nun an alle Türen offen. Sein zweiter großer Erfolg, „Summer Wars“ (2009), war eine epische Sci-Fi-Abenteuergeschichte, die fulminant und unglaublich stark inszeniert war. Angesichts solcher Filme sind Lobpreisungen der internationalen Presse, wie „das japanische Animationskino greift nach den Sternen, während das amerikanische nach wie vor im Sandkasten spielt“ (Manohla Dargis in The New York Times zu Satoshi Kons „Paprika“), kaum verwunderlich. Hosodas neuestes Werk Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ ist weitaus weniger episch erzählt, aber von solch emotionaler Kraft, dass es für viele inzwischen als sein bestes Werk gehandelt wird.

In „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ sitzt die 19-jährige Studentin Hana in einer Vorlesung und ihr Blick fällt auf einen Mitstudenten, der ihr noch nie aufgefallen ist. Der große, junge Mann hat etwas Geheimnisvolles, sie nimmt ihr Herz in die Hand und beschließt, ihn anzusprechen. Wer wagt, kann gewinnen und der sympathische Junge willigt ein, sich mit Hana zu treffen. Die beiden verstehen sich prächtig und Hana ist Hals über Kopf verliebt. Ihre Liebe ist so stark, dass sie sich auch nicht davon abschrecken lässt, als ihr Freund erzählt, dass er ein Wolfsmensch ist. Halb Mensch, halb Wolf besitzt er die Fähigkeit, sich zwischen den beiden Gestalten, wann es ihm beliebt, hin und her zu verwandeln. Die beiden bekommen zwei Kinder, Ame und Yuki, und die junge Familie könnte kaum glücklicher sein. Aber – so ist das eben leider oft in Filmen – steht der Familie ein harter Schicksalsschlag bevor, der für den Zuschauer genau so schockierend kommt wie für die junge Hana und ihre Familie.

Es ist beinahe ein kleines Wunder, dass „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ so herausragend funktioniert. Auf dem Blatt Papier mag Hosodas Familiengeschichte eine zweistündige kitschige Angelegenheit sein, doch der Film umfährt alle Fettnäpfchen mit einer spielerischen Sicherheit, die hier sicher kein Zufall ist. Schon in den ersten Minuten verliebt man sich in die Charaktere des Films und mit voranschreitender Spielzeit wird dieses Gefühl sogar noch stärker. Ame,Yuki und ihre aufopferungsvolle Mutter Hana tragen den Film auf eine unnachahmliche Weise. Die beiden Kinder, ebenfalls Wolfsmenschen, wissen nicht, was sie sein wollen. Erst mit der Zeit entdeckt jedes der Kinder für sich, welchen Weg es im Leben beschreiten möchte, nicht nur als Mensch, sondern vielleicht sogar als Tier.

„Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ ist also nicht nur Liebesgeschichte und Familiendrama, sondern in der zweiten Hälfte auch ein großartiger Coming-of-Age-Film, der sich viel Zeit für die beiden Kinder, ihre Ängste und Gefühle nimmt. Hana, die beinahe selbst noch ein Kind war, als sie ihre beiden Kinder bekam, wird – obwohl anfangs vollkommen überfordert – mit dem Heranwachsen der beiden Kinder selbst erwachsen. Zusammen mit dem ruhigen, schüchternen Ame und der wilden, beinahe unbändigen Yuki erlebt sie viele außergewöhnliche Abenteuer – Familien-Abenteuer eben. In einer Szene wachen die Drei morgens auf: Es hat geschneit, alle laufen sie aus dem Haus und stürmen voller Freude in den Schnee und toben, rennen, springen in diesem herum. Hana als Mensch, die beiden Kinder als Wölfe. Es sind diese beinahe alltäglichen, schon selbst erlebten Momente, die diesen Film so zauberhaft machen. Sie schweißen die Familie für den Zuschauer zusammen und lassen den Film dadurch an unglaublicher Kraft gewinnen, wenn am Ende die Familie auseinander zu brechen droht.

Mamoru Hosodas dritter Geniestreich in Folge wurde schon vor seinem Kinostart in viele weitere Länder verkauft und zog auch einen auf dem Film basierenden Manga, der auch in Deutschland erhältlich ist, mit sich. Auf die Frage, in welches Abenteuer uns Hosoda das nächste Mal entführen wird, darf man gespannt sein. Aber ganz egal, was es wird: Die Vorfreude ist riesig und das Vertrauen in den Meister spätestens nach „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ unerschütterlich.

Meinungen

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