In medias res hinein ins scheinbare Gewühl: In der Anfangsszene von „American Hustle“ steht Irving Rosenfeld (Christian Bale) vor einem Spiegel in einer plüschigen Suite des New Yorker Plaza Hotels. Genaustens richtet er seine Frisur, kämmt das Hinterhaar über die Glatze, klebt sich ein Toupet an die kahle Stelle und greift zum Haarspray. Rosenfeld ist ein con artist, ein Hochstapler. Er steht vor einer weiteren Gaunerei, seiner größten. Oder ist er kurz davor sich neu zu erfinden? Es ertönt der Westcoast-Folkrock der Band America, „Horse With No Name“. Seine Mitstreiterin „Lady“ Edith Greensly (Amy Adams) und der FBI-Agent Richie DiMaso (Bradley Cooper) treten in die Szene und deuten in einer kindlich wirkenden Auseinandersetzung hin auf ein nebulöses Dreigespann im Zwiespalt der Rivalitäten. Die drei eigentümlichen Charaktere wandeln den Gang entlang. Zu Steely Dans Song „Dirty Work“ – „I am a fool to do your dirty work“ – bekommen wir skurril anmutende Nahaufnahmen und eine Menge kühler Gesichtszüge, während der Vorspann durchs Bild läuft. Ein vielsprechender Start, man ist sofort gepackt, gebannt auf den kultigen Film.
Der 70er-Jahre-Zeitreise-Film von David O. Russell ist in aller Munde. Christian Bales Bierwampe. Schnittige Kostüme und seitliche Einblicke in die luftigen Kleider ihrer, auf BHs gänzlich verzichtenden, Trägerinnen Amy Adams und Jennifer Lawrence. Die lockigen, auftoupierten und dauergewellten Fönfrisuren. Die angeblich spektakuläre Wiederauferlebung dieser Zeit. Viel Namedropping, viel Glitzer, viel Gebrumm – big business, große Kunst? Ein Regisseur, der den Ruf mit sich trägt, einer der letzten Verfechter des method acting zu sein, dem nicht zuletzt seit Jennifer Lawrences Quasi-Eroberung der Blitzlichtwelt das Händchen nachgesagt wird, Schauspieler zu Höchstform zu dirigieren oder drangsalieren. Periodische Überstilisierung ist omnipräsent, Erotisierungen, Neurosen, Manipulation, Erpressung, ein bisschen Schi-Schi hier und da, bisschen was von allem und für jeden. Anleihen an Tarantino, Jersey-Italo und New-York-Referenzen à la Scorsese, viele bunte Bilder, Diskokugeln, explodierende Mikrowellen… und vor allem immer wieder Haare. Auch ein Nagellack soll im Plot eine entscheidende Rolle spielen.
Zurück im Film wird uns nach diesem glamourös-schrägen ersten Zusammentreffen in anderthalb Stunden an einer Vielzahl von Schnitten (Rückblenden, Rück-Rückblenden, Vorausdeutungen) kunstvoll das Geflecht der fünf Hauptfiguren erläutert, manchmal langfädig, dann wieder schnappatmend, um wiederum an den Ort des großen Schwindels zurückzukehren. Irving Rosenfeld hat sich sein Leben entsprechend den Umständen immer hingebogen. Vordergründig Erbe und Unternehmer einer Reinigungskette in den Bronx, fließt das große Geld erst so richtig, seitdem er seine Seelenverwandte und Geliebte Sydney Prosser kennengelernt hat. Diese mimt einen (nicht wirklich überzeugenden) britischen Akzent und gibt sich als englische Lady Edith Greensly mit zweifelhaften königlichen Bankverbindungen nach London aus. Gemeinsam wird abgezockt, Geld gegen vorgestreckte Provision versprochen und mit gefälschter Kunst gefeilscht. Davon profitiert auch Irvings (blutjunge) Frau, die dubiose Rosalyn Rosenfeld (Jennifer Lawrence), die ihren Nägeln mehr Aufmerksamkeit zu schenken scheint, als ihrem kleinen Sohn Donny. Bis der ehrgeizige FBI-Agent Richie DiMaso den beiden Langfingern auf die Schliche kommt und sie vor ein Ultimatum stellt: Beihilfe für dessen eigenes Meisterstück oder Kittchen. DiMaso will die Korruption bekämpfen, und hat den Bürgermeister von Camden, New Jersey, Carmine Polito (Jeremy Renner) im Visier, denn dieser hat soeben das Glücksspiel legalisiert und sucht nach Geldgebern, um Atlantic City zu neuem Leben zu erwecken. Eine verwirrende und doch vorhersehbare Mehrecks-Konstellation beginnt zwischen all diesen Charakterpaaren: Wer mit wem, und wer kommt wann dahinter.
Ziemlich schnell wird man nach der ersten Stunde auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Immer wieder steht diese stupide Bildergötzung im Weg, eine auf die Pelle rückende Kamera, der Charme verfliegt so schnell, wie er kam, verkünstelt durch Inkonsequenz zwischen werbefilmischer Dichte und überlangem, theatralischem tête-a-tête.
Jedoch schafft es Russell zwischenzeitlich Fahrt aufzunehmen, beispielsweise etwa mit dem mitreißenden Soundtrack, der eine perfekt-rasante und geschmackvolle Zeitreise durch dieses vielseitige Jahrzehnt herbeiruft und sich dann mit der Zeit wie eine Greatest-Hits-Revue im eigenen Widerhall herunterleiert. Am meisten Späne fallen, sobald Jennifer Lawrences Charakter Rosalyn Rosenfeld am Werke ist: Mit Bauernschläue und irrationaler Intuition stellt sie alle anderen auf die Probe und sorgt als, zum Bond-Klassiker „Live and Let Die“, singende und tänzelnde, zur Putzwut verdammte, rachsüchtige Hausfrau für die vielleicht beste Szene des Films. Auch ihrem Treiben wohnt dennoch eine vorhersehbare Eindimensionalität bei.
Gemessen daran spielt das Ensemble wirklich gut, harmoniert, brilliert streckenweise wahrhaftig. Dabei wird man jedoch nie das Gefühl los, dass diese Figuren trotz aller pedantisch erzeugten Authentizität ständig ein wenig aufgesetzt und unzugänglich erscheinen; was rund sein soll, wirkt flach. Denn irgendwie überspielen diese Figuren eigentlich nur ihre eigene Nichtigkeit. Aber das gehört wohl zum Gesamtkonzept. Auch das aufgebürstete Casting lässt sich ferner hinterfragen: Eine Anfang Zwanzigjährige spielt die Mutter eines fünfjährigen Kindes und konkurriert mit der Fast-Vierzigern Amy Adams um den König der Bronx’schen Halsabschneider, Christian Bale. Und der gut gehaltene Jeremy Renner ist mit Anfang 40 ein gefeierter, angesehener Politiker?
Der historische Rahmen und die reale Grundlage zum Film, die verdeckte FBI-Ermittlung Abscam, einem der größten, politischen Skandale der Siebziger, rückt eher in den Hintergrund und wird unter Zeitdruck beiläufig heruntererzählt. Das im Internet kursierende, ursprüngliche Skript „American Bullshit“ von Russells Co-Autor Eric Warren Singer („The International“) folgte da noch einem anderen Ansatz. Der Chef selbst machte kurzum aus einem Kriminalthriller eine figurenlastige Ensemblekomödie, die von Situationen und der Motivation der Handelnden getragen werden soll. Wer ein politisches Statement oder gar Subversives erwartet, wird enttäuscht. Dialogwitz und Situationskomik soll es in „American Hustle“ erledigen. Dass die Dialoge dabei am Set ständig verändert, oder weiterentwickelt und von Russell minutenschnell auf den Blackberry gehackt wurden, spürt man auf Kosten eines proportional unausgeglichen Drehbuchs, das sich wortwörtlich bei den Haaren herbeigezogen in mehrere Richtungen gleichzeitig verzetteln will, sodass viele Pointen oftmals untergehen oder zu offensichtlich wirken. Trotz guter Ansätze und handwerklicher Präzision wird zu viel in die Breite gestaltet, alles wirkt ein bisschen hingefönt und ins Blaue hinausgeschossen.
Die Phrase „from the feet up“, wörtlich etwa „von Grund auf herausgeputzt“, fällt im Film gut ein Dutzend mal. Dieses etwas verwaiste, umgangssprachliche Idiom will Russell konnotativ neu umformen, es mit Echtheit gleichsetzen, den Sprung von Äußerlichkeit zu charakterlicher Tiefe und Wahrhaftigkeit bewerkstelligen. Auch auf der Berlinale Pressekonferenz spricht er immerzu von dieser magischen Formel, um die es ihm primär ginge. Es wirkt immerzu, als wolle man den Film von oberster Stelle erklären und ihn zwanghaft auf eine höhere Ebene heben. Schon vom Plaket tönt die Message, der Leitfaden: „Everyone hustles to survive.“ Jeder mogelt sich eben so durch, auch der Film selbst.
The whores hustle and the hustlers whore
Too many people are out of love
The whores hustle and the hustlers whore
This city‘s ripped right to the core
Das größte Manko von „American Hustle“ ist die eigens gestellte Erwartungshaltung: ein rasanter Trailer, das Staraufgebot, die „Best of the 70s“-Ansammlung von Songs, das richtige Tempo zu finden. Das Damoklesschwert hierbei ist dieser größenwahnsinnige Titel des sich gegenseitigen Linkens und Begaunerns, des amerikanischen Gewühls, Gedränge, Betrugs. Damit kann man im Umkehrschluss nur auf der Strecke bleiben. Wäre man beim vorläufigen Titel geblieben, käme man diesem kleinspurigen „New Jersey Hustle“ gerechter.
David O. Russell hinterlässt uns in diesem üppigen Ausstattungsdickicht einige offene und maßlos ambivalente Fragen, die gleichermaßen ungreifbar und selbsterklärend sind wie sein Film. Polarisierend ist er als Filmemacher vor allem, weil er sich damit rühmt, das kleinere Übel, der jonglierende Gentleman und Vermittler zwischen den Raubzähnen der Hollywoodstudios und der amerikanischen Independent-Filmkultur zu sein. Einer, der sich immer wieder selbst erfindet, wie die Charaktere in „American Hustle“. Umso trostloser wird es schließlich, wenn man sich mit Protz- und Potenzmitteln der Branche selbst übersät, um damit ein etwas orientierungsloses, schnoddriges Autorenfilmpotpourri zu kreieren, das nie so wirklich weiß, wo es hinwill. In keinem seiner Filme war diese selbstgenügsame Formel bis dato so spürbar, und er selbst und seine Schauspieler scheinen gar nicht mehr aufhören zu wollen, sich für die anarchische Improvisationsgewalt im Schauspiel selbst Honig ums Maul zu schmieren.
Weniger Anstrich, mehr Demut zwischen den Zeilen hätte das Ganze aus seinen mäandernden Bahnen reißen können. Recht amüsiert über das Ausufern der Nebensächlichkeiten in dieser Geschichte und doch unbefriedigt und kaum reicher als zuvor geht man aus diesem Film. Macht ihn gerade diese merkwürdige Austrickserei genial, gar subtil epochal? Hat man sich gerade selbst über den Tisch der Kinokasse ziehen lassen, ist das Teil des American hustle? Es benötigt Einiges an Fantasie und Gutmütigkeit, um aus dem leichtsinnig benommenen, selbstgefälligen Wirrwarr eine Lebenslektion für sich mitzunehmen oder sie ohne Geburtshilfe überhaupt festzumachen. Beispielsweise diese, in allen Facetten und Tiefen innewohnende, angestrebte Menschlichkeit, von der Russell immerzu tönt, from the feet up. Es fällt schwer, die in „American Hustle“ gezeigte Form der Katharsis, in Anbetracht der ständigen Selbsterfindung im überwiegend grauen Spektrum unseres Daseins, wie es uns Irving Rosenfeld suggeriert, letzten Endes geistig nicht als eindeutig Schwarz und Weiß abzuheften.
Ironie des Schicksals ist, dass bei all dem explizit betriebenen Aufwand gerade eine Nominierung bei der Academy leer ausging, die über die am meisten geredet wird, der Propagandamotor des Streifens: Haare und Make-up. Denn beides spielt im maskierten Kirmes der Eitelkeiten und Selbstbetrügereien bei David Owen Russell am Ende die anhaftende Rolle. „American Hustle“ ist, wenn man so will, ein unterhaltsamer Zeitvertreib, eine bildverliebte und kinetische Hommage an die späten siebziger Jahre. Vielleicht ein cineastischer Pflichtbesuch, um mitreden zu können. Doch alles in allem zu flach und blumig im Abgang, um einen denkwürdigen Rang in der Filmgeschichte, welcher über das Jahr 2013/14 hinaus schmeckt, zu ergattern. Frischer, lieblicher, seichter Genuss – beschwingend, aber wenig Lagerpotenzial. In einer Figur hat der Film es sich allerdings selbst vorweggenommen: Denn alles, was übermäßig glänzt und zu sehr verführt, hat eben auch was faules, stinkendes an sich – so wie der Nagelüberlack von Rosalyn Rosenfeld. Nach circa 138 sprunghaften wie meisterlich-schneidewütigen Minuten der Scorsese’schen Schule, ist das wohl der philosophische Kern dieses filmischen Chamäleons. Irren ist menschlich, vergessen, weitermachen: Jazz it up! Duke Ellington wird’s schon richten.
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