Er schien für immer in der Versenkung verschwunden zu sein, doch nun hat es David O. Russells „Nailed“, knapp acht Jahre nach Drehbeginn, tatsächlich noch in die Öffentlichkeit geschafft. Einiges an dieser Aussage muss man jedoch korrigieren: Der Film heißt jetzt „Accidental Love“ (auf deutsch inzwischen „Liebe ohne Krankenschein“) und Regisseur Russell wird als Stephen Greene angegeben. Nach mehreren finanziellen Engpässen, nicht eingehaltenen Zahlungen, streikenden Darstellern und einem schlicht unvollendeten Drehplan wurde ohne Russells Einwilligung doch noch gerettet, was gerettet werden konnte. Nun gilt es also, die nicht mehr zeitgemäße Krankenversicherungs-Komödie etwas unabhängiger von Russells sonstigem Schaffen zu bewerten, da ihm die Kontrolle entzogen wurde und er sich gleichsam vom Film distanziert. Dabei ist schon fraglich, inwiefern er aus dem hier repräsentierten Material überhaupt einen gelungenen Film hätte herauskristallisieren können. In der ersten Hälfte des übrig gebliebenen Torsos ist aber zugegebenermaßen mehr Raum für potenzielle nötige Verbesserungen vorhanden.

Darin findet zunächst die Einführung von Protagonistin Alice (Jessica Biel) statt, welche bei einem Dinner mit ihrem Beau, Sheriff Scott (James Mardsen), aufgrund verrückter Umstände einen Nagel ins Gehirn gedrillt bekommt. Da sie jedoch keine Krankenversicherung abgeschlossen hat, werden die Kosten für ihren Notfall nicht übernommen. Eltern, Spender und andere Leidensgenossen können den nötigen Zaster ebenso nicht aufbringen. Erst die Begegnung mit dem nicht ganz so treuherzigen Kongressabgeordneten Howard Birdwill (Jake Gyllenhall) bringt ein bisschen Hoffnung (und die titelgebende unverhoffte Liebe) auf, ihre Lage durch ein neues Gesetz zu verbessern. Hinter den Kulissen brodeln jedoch Intrigen und Machtspiele, gegen die Alice mit mental bedingter Spontanität und Frechheit anzukämpfen gedenkt. Ehe man als Zuschauer allerdings wirklich in dieses Szenario herein findet, überwirft sich der Schnitt mit unsteter Gehetztheit, welche durch einen schmerzhaft pausenlosen Score jederzeit die eigentliche Gefühlslage überstimmt.

Viel Raum lässt sich aber auch nicht schaffen, da gerade im ersten Akt die meisten Szenenübergänge zu fehlen scheinen und somit eine unnatürliche Abwegigkeit vom Verständnis der Situation entsteht. Die verzerrte Kameraarbeit hilft aber ebenso kein Stück weiter, während man vom bewusst unkonventionellen, doch in dieser Konstellation unstimmigen Humor regelrecht bombardiert wird. Die Näharbeit am Unfertigen hat sichtlich Schwierigkeiten echte Pointen zu finden und befähigt sich sogar dem berüchtigten Record scratch beliebigster Komödien-Trailer an scheinbar wahlloser Stelle. Ab der zweiten Hälfte gerät alles etwas kohärenter, da diese wohl beinahe vollständig abgedreht wurde. Greifbarer werden die Figuren dadurch allerdings noch immer nicht, eher penetranter, da sie durchweg als plakative Vehikel einer politischen Satire herhalten müssen. Diese probiert eine konfrontierende Krassheit, arbeitet jedoch nebenbei mit Harmlosigkeit – eine Uneinigkeit, mit welcher der Film seine Inhalte nur an die Wand klatschen kann; völlig gleich, ob irgendwelche kleben bleiben.

Das Irrationale soll hier Methode haben: Gleichsam wird der Charme im Gerechtigkeitssinn gesucht, obwohl surreale Zufälligkeiten immer wieder eine zynische Distanz erschaffen. Dass allgemeine Hilfe abseits der Krankenversicherung nötig ist, wird also mit einem impulsiven Augenzwinkern dargelegt, inklusive Pfadfindermädchen als Unterstützer. Dazu springt das Ensemble nervös im Kreis herum, um das persönliche Glück und die Liebe zu finden. So entziehen sie sich leider einer nachvollziehbaren Transparenz, wie auch die Inszenierung alles auf Witz bürstet und jenseits der offensichtlichen Agenda keine Zwischentöne der Interpretation, Ambition und Ehrlichkeit zulässt. Russell ist durchaus zu mehr fähig, als zu dem, was hier von seinem Werk noch verwertet wurde. Man kann nur spekulieren, wie viel gelungener seine Wunschfassung ausgefallen wäre beziehungsweise wie sehr sie sich von der rücksichtslosen Kurzweiligkeit abgrenzt, die allein im Rohmaterial präsent ist. So bleibt jedoch nur ein buntes und im Ansatz originelles Sammelsurium an stumpfem Klamauk, bei dem alle potenziellen Lacher in den Sand gesetzt werden und einem darüber hinaus keine Empathie für die Figuren entgegen kommt. Letztendlich wäre es für alle Beteiligten vorteilhafter gewesen, der Film hätte als unveröffentlichtes Mysterium weiterleben können.

Meinungen

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