Eine Kontroverse, zwei Meinungen. Daher besprechen wir Gaspar Noés „Love“ mit Karl Glusman gleich doppelt. Eine positive Zweitkritik findet sich hier.
Gaspar Noé sorgte mit seinem elliptischen „Irreversibel“ bereits im Jahr 2002 für einen medial diskutierten Eklat beim Festival de Cannes und untermauerte damit seinen unumstrittenen Ruf als Skandalnudel. Mit „Enter the Void“ brachte er 2009 schließlich ein formal sperriges Drogenepos heraus, welches die halluzinogene Reise einer Gruppe Menschen in Tokio illustrierte. Sein neues 3D-Drama „Love“ gibt hingegen tiefe Einblicke in eine Beziehung und fokussiert dabei insbesondere Erotik und Sex, die er – wie zu erwarten – sehr explizit aufbereitet. Gewohnt fragmentarisch entblättert Noé hier allmählich die innige und leidenschaftliche Beziehung des amerikanischen Filmstudenten Murphy (Karl Glusman) und dessen französischer großer Liebe Electra (Aomi Muyock). Beginnend mit Murphy, der mit einer neuen Frau und Kind zusammenlebt, leitet ein Anruf von der Mutter seiner einstmaligen Liebe die Auffächerung zu den Geschehnissen vor seiner unfreiwilligen Vaterschaft ein.
Bereits das erste Bild des Films ist exemplarisch für alles Darauffolgende: Das Paar liegt entblößt im Bett, sie treibt ihn mit der Hand bis zur Ejakulation. Derlei Darstellung ist mittlerweile kein Novum mehr. Berüchtigte Dramen wie „Im Reich der Sinne“ und neuerdings vielleicht „Shortbus“ oder der aktuellste Lars von Trier, „Nymphomaniac“, stellten zwischenmenschliche Intimität und Kopulation auf unverblümt direkte und – für manche – erschreckend deutliche Weise dar. Auch wenn man betonen muss, dass Gaspar Noé seine Beziehungsstudie weitaus weniger psychologisch anpackt. Charakterisiert werden seine Protagonisten durch ihre Sexualität und ihr unverhohlenes Verlangen, das sie nach geteilter Zweisamkeit in immer wildere sexuelle Exzesse treibt. Die eher spärlich gesäten und zumeist trivialisierten Dialoge sind vielmehr Mittel zum Zweck, um beiden Figuren den nötigen Konfliktstoff anzureichern, welcher sie auseinander keilt, nur damit sie anschließend wieder Arm in Arm in dunklen Nachtklubgängen zueinanderfinden und sich dort nach wortlosen Umarmungen einander hingeben.
Liebe etikettiert Noé hier primär als physischen Akt und als ungezwungenes Bedürfnis nach körperlicher Berührung. Seine Darstellung fleischlicher Lust verwässert konsequent die Grenze zwischen Pornografie und Kunst. Wer sich an „Irreversibel“ erinnert, würde die Handschrift des Regisseurs wahrscheinlich als kompromisslos und brachial betiteln. Vergleichsweise zahm ist dieses kleine, ästhetische Kunstwerk. Dem Film neben seinem Rein-Raus-Spiel eine größere Bedeutung beizumessen, erscheint hingegen abwegig. Vielmehr will Noé wie üblich provozieren und echauffieren. Und mit seiner ganz persönlichen Attacke gegen die Prüderie dürfte ihm das auch gelingen – „Love“ ist vergleichbar mit einem Drogentrip. Vorerst berauschend stellt sich primär eine alles überlagernde Dumpfheit ein. Tief ist hier nur die gezeigte Penetration. Zwar ist seine Exkursion in die Welt der Gelüste rein formal ansprechend, lässt aber jegliche Essenz oder Emotionalität vermissen, weswegen sich sein jüngstes Drama schlicht und ergreifend plakativ titulieren lässt.
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