Wie soll sie ihn nun nennen, ihren Vater, der fortan eine Frau sein möchte? Immer noch Daddy? Oder Mappa? Ali Pfefferman (Gaby Hoffmann) ist sich unsicher, denn Ali Pfefferman ist verstört. Vermutlich wie jeder Mensch, der nicht glauben kann, dass der eigene Vater nicht der ist, der er über die Jahre vorgab zu sein. Was aber damit machen? Annehmen, tolerieren, weiterleben? Oder hinterfragen? Von diesen Fragen handelt „Transparent“. Und doch nicht. Obwohl Jill Soloway in zehn kurzen Folgen über das Coming out eines Mannes erzählt, der den Rest seines Lebens leben will, wie er immer leben wollte: als Frau – als Frau mit lackierten Nägeln, langen Haaren, Ohrringen, mit Kleid und Bluse. Mort Pfefferman will Maura Pfefferman heißen, endgültig. Dahinter liegt eine Vergangenheit, die anderswo – in Spiel-, Kurz-, Animationsfilmen, Serien – vermutlich exorbitant spannend wäre, da dem Zuschauer eine Entdeckung zuteilwird; der Protagonist sich als Agent, als Objekt dunkler Machenschaften oder eben als Transfrau entpuppt. Eine Entdeckung gibt es hier nicht, weil alles aus einem Guss ist. Nicht mal die Entdeckung, dass Maura anders ist. Sie ist es schließlich nicht.

Für ihre Kinder aber ist Mauras äußerlicher Wandel eine Offenbarung. Tochter Sarah (Amy Landecker) hakt schließlich nach, ebenso irritiert wie später ihre Schwester Ali: „Are you saying you’re going to start dressing up like a lady all of the time?“ Maura kann nur antworten: „All my life, my whole life, I’ve been dressing up like a man. This is me.“ Die Kostümierung ist keine, obwohl sie zunächst ungewöhnlich genug ist, dass sie wie eine scheint. Jene Identität, die von der äußeren Hülle ausgeht, meint einen Fehlschluss, der in „Transparent“ anfangs obligatorisch inszeniert wird, bis er tief genug im Zuschauer verankert ist, dass dieser nicht Maura als merkwürdig oder gar fremd empfindet, sondern ihr Umfeld, welches seine bisherige Liebe nur schwer auf die Gegenwart übertragen kann. Ihr Outing ändert Maura, indem sie einmal weniger kämpfen muss. Die Haut, in der sie sich bislang gefangen sah, ist nun gänzlich die ihre. Und es ist des grandiosen Schauspiels von Jeffrey Tambor als Maura zu verdanken, dass nichts von all dem stereotyp, gewagt, überladen oder sensationell wirkt. Vielmehr schlendert Tambor durch die Räume wie eine Frau, die endlich nachholen kann, was ihr in ihrer Jugend als Mann verwehrt blieb: die Haar zu zwirbeln und Beine übereinander zu schlagen – ganz sie zu sein.

Die Toleranz Jill Soloways ihrer Hauptprotagonistin gegenüber endet jedoch nicht bei ihr. Alle Figuren – ob verwandt, geschieden, befreundet – hadern mit ihrer Identität, da auch sie Gefangene ihres Verständnisses von Sexualität und normierten Geschlechterrollen sind. Mauras einziger Sohn Josh (Jay Duplass) vögelt sich so mit einer verheerenden Sehnsucht nach Liebe durch die Frauenwelt und sucht nach Erfüllung – sei es auch nur der kurzzeitigen Sättigung wegen, einen weiteren Moment nicht allein zu sein. Ali dagegen probiert erst die Droge Sport, bis sie wieder bei der Droge selbst landet, während Sarah von ihrem heterosexuellen Selbstbild (Mann, Haus, Auto, Kinder) in die Beziehung zu einer Frau irrt, die sie mit ihren Gefühlen heillos überfordert. Die Konflikte sind immanent, aber selten radikal; die Lösungen symptomatisch, aber selten entlastend. Es ist so viel Komödie im Drama, wie die Erzählung tragen kann, ohne einer eindimensionalen Entwicklung zu folgen.

Es geht hier nicht nur darum, einen Körper zu erschaffen, der einen abbildet, sondern um die Kraft, mit diesem zu leben – glücklich, selbstbestimmt, frei. Einmal sagt Connie, eine kurzweilige Freundin Mauras, Jahre bevor diese sich jedem so zeigen will, wie sie wirklich ist: „We’re just a bunch of bodies. We’re just bodies, and some of us have a penis.“ Keine dieser Figuren macht aus, was sie äußerlich ist, dass sie Mann, dass sie Frau ist, dass sie jung, dass sie alt ist. Doch was sie innerlich sein wollen, wissen die meisten nicht. Also zählt zuerst, was sie sehen. Penis? Vagina? Eigentlich egal. Am Ende der ersten Staffel von „Transparent“ ist jeder, wer er ist und nimmt seine Lasten, wie sie sind. Viel näher an die Komödie des Lebens werden sie und wir ohnehin nicht kommen. Denn was Alan Balls „Six Feet Under“ einst war, ist „Transparent“ heute: eine Geschichte über Menschen, die sich nicht leicht geben und es sich manchmal sehr schwer machen, indem sie sind, wie sie sind. Wer sich jemals am falschen Fleck fühlte, wird nach Jill Soloways Serie bemerken, dass dieser Fleck so falsch nicht sein konnte – denn man war ja selbst dort.

Meinungen

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