Die Saison der großen Preisverleihungen hat begonnen und pünktlich zur Jahreswende erscheinen die wundervollsten cineastischen Perlen, um bei den Golden Globes und Oscars abzusahnen. Eine nicht ganz unbeträchtliche Rolle bei den kommenden Prestigeveranstaltungen dürfte dabei das herausragend inszenierte Drama „Brooklyn“ einnehmen. Ein ohne viel dramaturgischen Aufwand, aber extrem präzise gefilmtes Meisterwerk mit einer brillanten Hauptdarstellerin, basierend auf dem gleichnamigen Roman des irischen Schriftstellers Colm Tóibín.
Der Romanautor Nick Hornby, der die Vorlagen zu „About A Boy“ oder „High Fidelity“ lieferte, machte sich in vergangener Zeit auch als Drehbuchautor einen Namen und adaptierte „An Education“ als auch „Der große Trip – Wild“ für die Leinwand. Für Ersteren wurde er sogar mit einer Oscar-Nominierung bedacht. Ein Coup, der sich mit dieser jüngsten Adaption wiederholen könnte. Geschildert wird die Reise der jungen Eilis Lacey (Saoirse Ronan), die, um den ärmlichen Verhältnissen ihrer Geburtsstätte zu entkommen, mithilfe eines Pfarrers (Jim Broadbent) und der Unterstützung ihrer älteren Schwester nach Amerika übersiedelt, um dort ein Leben in Angriff zu nehmen, welches ihr größere Perspektiven bietet. Schon die rüde Überfahrt auf einem ungastlichen Dampfer hinterlässt einen bitteren Vorgeschmack. Im Stadtteil Brooklyn angekommen, wo sie Herberge bei einer alten Gemeindehelferin (Julie Walters) findet, wird sie bald von quälendem Heimweh eingeholt. Erst die Bekanntschaft mit dem italo-amerikanischen Jungen Tony (Emory Cohen) weckt ihre Lebensgeister neu und vermag, ihr über ihre Sehnsucht nach der Familie hinwegzuhelfen. Bis sie tragische Nachrichten aus Irland ereilen.
Samt seinem dezenten narrativen Duktus kitzelt Regisseur John Crowley Bestleistungen aus seiner hochkarätigen Darstellerriege. Die eingewebten, romantischen Noten der Geschichte sind keineswegs rührselig oder sentimental – sondern bewegen vielmehr durch ihre sanfte Zurückhaltung und die sensationelle Chemie der jungen Hauptdarsteller Saoirse Ronan und Emory Cohen, der seiner Leinwandpartnerin in Nichts nachsteht. Wunderschön gefilmte Sequenzen bei den ersten Annäherungen der beiden sorgen nicht nur bei ihnen, sondern auch beim Zuschauer für aufgeregtes Herzflattern. Saoirse Ronan, die für ihre Rolle bereits jetzt eine Golden-Globe-Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ geerntet hat und zu den heißen Favoritinnen für die kommenden Oscars gilt, hat sich seit ihrem Debüt in „Abbitte“ zu einer gefragten Charaktermimin Hollywoods gemausert. Schlicht und ergreifend beeindruckend ist ihr ehrliches, authentisches und reifes Spiel, in dem sie durch Gestus und Mimik Emotionen kenntlich macht, die kaum in Worte zu fassen wären und tief berühren. So gerät sie zum absoluten Glücksgriff für diese schmal budgetierte Produktion, die sich auf eher kleinere Szenen beschränkt, damit aber die erstmalige Beklommenheit der neu in der Großstadt Angekommenen adäquat transportiert.
Ein zutiefst humanes, feinfühlig inszeniertes Meisterwerk über Entwurzelung und zugleich ein aufwühlendes Coming-of-Age-Drama, angesiedelt im kleinbürgerlichen Gesellschaftsmilieu einer Ära des Umbruchs voller Ungewissheiten.
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