Im Laufe von „American Sniper“ überkommt einem die Frage nach der sinnverhafteten Verhältnismäßigkeit eines Krieges – aber auch die Frage nach der formalen Verhältnismäßigkeit eines Filmes, der Krieg als Sandbaukasten aufgreift, als intrigenreiches Kontrollspiel unter einem sektenartigen Gemeinschaftszusammenschluss gegen unterprivilegierte, fanatische Unmenschen. Immer den Waffenlauf in eine Ecke des Bildes stoßend, immer das prüfende Fadenkreuz, die Erwartung, der Abzug, der Tod, das Leben, Checkpoint geschafft, laden, speichern. In vier Missionen („Touren“), in vier Schwierigkeitsgraden, in vier Zielsetzungen. Clint Eastwood ist der Schöpfer von nie zu pädagogischen, aber einvernehmlich weitblickenden Antikriegsfilmen wie „Flags of Our Fathers“ und „Letters From Iwo Jima“. Dieses Siegel trägt „American Sniper“ nicht, denn Kriegsverherrlichung ist ungleich Kriegsbebilderung. „American Sniper“ bebildert den Krieg (diesmal im Irak) nicht, er dramatisiert, er konstruiert und organisiert ihn: Welches Ziel fokussiert das Fadenkreuz? Einen Jungen, dem eine Granate überreicht wird? Einen, der eine Panzerfaust aufhebt? Muss ich schießen? Warte ich? „American Sniper“ scheitert, völlig ungeachtet seiner ideologischen Dimension, an seinen Ansprüchen, den Krieg zu zeigen, ihn strukturell aber gleichzeitig spannend, missionskompatibel, massenkompatibel umzukrempeln. „Medal of Honor“, das ist „American Sniper“.
Sein Protagonist, ein rüder Dampfplauderer, verblendeter Fleischsammler und neokonservativer Patriot Chris Kyle (Bradley Cooper) – er wird von seinem Vater beim Jagen angelernt. Dort verinnerlicht er eine Vielzahl an Dingen, die ihm später umso wichtiger erscheinen, beim rekordträchtigen Jagen im Kriegsgetümmel: Präzision, Geduld, Beobachtungsgabe. Kyles sagenumwobene Strahlkraft als Held, als Legende, als Ikone amerikanischer Scharfschützen verkehrt sich in seinem Film (exakter: Denkmal) unfreiwillig zum Gegenpol. Chris Kyle, auf Landurlaub in einer Kneipe, ist nett zu seiner zukünftigen Herzensdame und Ehefrau (Schauspielern, also Dauerheulen: Sienna Miller) am Tresen, sattelt einen gewonnenen Kuschelbär auf seinen Schultern, heiratet an Deck und entschließt sich unmittelbar während der 9/11-TV-Bilder, seinem Land einen (genuschelt ausformulierten) Dienst zu leisten, Amerika vor weiteren Bedrohungen zu schützen. Im Irak, kurz vor einem Überraschungsangriff, erfährt er, dass er einen Jungen bekommt, ehe die Verbindung abbricht. Wann wird Chris Kyle eigentlich Avengers-Mitglied, Expendables-Sölder, Mucki-Türsteher? Die Chris-Kyle-Geschichte nämlich, wie sie hier eine psychologisch den Schwanz einziehende Darstellung des narrativen Erweckungszufalls erfährt, geht höchstens als mürrisch spottende Persiflage auf gebräuchliche Kriegsfilmschemata durch. Dazu repetitive Häuserkämpfe, faschistoides Dämonisierungskauderwelsch, elegische Heimatsaufenthalte, eine fliegende Kugel in Zeitlupe (!).
Was hat Eastwood angetrieben, sich einem aus europäischer Perspektive derart uninteressanten, begriffsstutzigen und naiven Überzeugungskiller in den Schatten zu stellen, dem er trotz einer angerissenen Kriegsparanoia ein schwülstiges, fettglänzendes (Fahnen-)Begräbnis zugesteht? Ein letzter großer Kassenerfolg? Die Senilität? Das Nachlässige? Obwohl vor allem „Erbarmungslos“, „Million Dollar Baby“ und „Gran Torino“ in der Vergangenheit jener weisesten Eastwood-Arbeiten ein moralisch diffiziles, emanzipatorisch wertendes und nicht weniger tiefschürfendes Helden- und Opferbild postulierten, zwängt sich „American Sniper“ dagegen in die Steinzeit der republikanischen Rechten, ein passsicheres Army-Bekennervideo zusammenzuschneiden, voll an unbegründeten Ängsten, Phrasen, voll an Machomilitarismus und Knarrenwettkampf, voll an Kerlen und Tölpeln, voll an nationalistischer Deutungshoheit und heroischer Geltungssucht. Den Rücken als Dartscheibe hinhalten, Türen sprengen, drohen, ausknipsen – egal, welche Gliedmaßen der Krieg gefordert hat, ist es alleinige Ehre genug, an die Front zurückzuwollen. Hatte Eastwood seinerzeit einmal gescheite Argumente parat, einen zweifelnden Blick eingerosteten und vermeintlich vorkämpferischen Zivilisationsidealen zuzuwerfen, vergeht ihm in Chris Kyles Leni-Riefenstahl-Erfolgsbiografie des 21. Jahrhunderts jedweder Sinn für vernünftige Begründungen. Damit ist er Kyle und seiner hässlich-heuchlerischen Proletenidentät näher als je zuvor.
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