Achtung Mogelpackung! Obwohl sich Clint Eastwoods Verfilmung des Broadway-Stücks „Jersey Boys“ als Musical ausgeben möchte, ist es hauptsächlich ein größtenteils austauschbares Biopic-Prozedere geworden, das den Aufstieg und Fall von Frankie Valli und seinen Five Seasons auf die ernüchternste Art chronologisiert. An sich ist diese Idee ja kein allzu schlechter, weil oft bewährter Einfall – die Struktur wurde schon reichlich oft durchgekaut, aber wer die nötige Energie dafür aufbringen kann, hat schon den halben Battle gewonnen (man denke da einfach an Baz Luhrmann). Und da versagt der Ansatz leider schon erheblich, hüllt Eastwood doch sein in den 1950ern beginnendes Ambiente durchwegs in schrecklich blasse Farben, bleibt in der Kamera- und Schnittgestaltung zwar gewissenhaft, aber auch nüchtern an der Grenze zur offenen Lustlosigkeit wie der routinierteste Imagefilm.

Dabei ist der Einblick in die Hintergründe jener Pop-Größen aber auch kein besonders rosiger: die Verbindungen zur Mafia New Jerseys und den daraus resultierenden Bagatellverbrechen unserer Protagonisten wird nicht schlicht übergepinselt und auch im Tonfall entsprechend authentisch-vulgär dargelegt – dem wird aber ebenso im Verlauf nicht abgeschworen, Gefallen kann man immer noch vom Mobster-Boss Gyp DeCarlo (Christopher Walken) einholen, wenn er vom Gesang eines Liedes seiner Mutter besonders weich wird. Ein wenig verurteilender Umgang mit dem Milieu, zudem mit direkten Ansprachen ans Publikum bei Steadycam-Fahrten angereichert, als ob man bei Scorsese gelandet wäre. In diesem Umfeld jedenfalls treten der Macho-Macker Tommy DeVito (Vincent Piazza) und das aus einem guten, italienischen Haushalt (inklusive sorgsamer Eltern und Spaghetti mit Fleischklösschen – ganz süß!) stammende Stimmen-Wunder Frankie Valli (John Lloyd Young) noch erfolglos als Schmuse-Rocker auf, geraten immer mal wieder vor den Richter, bis sie eines Tages den jungen Songschreiber Bob Gaudio (Erich Bergen) treffen, anhand dessen Talent und Vallis Falsett-Kunst langsam auch einige Plattenbosse Gefallen finden und zudem die ersten Hits eintrudeln.

Immer wenn Letztere ins Lampenlicht gerückt werden, packt der Film einen schwungvoll bei den Eiern, wenn auch immer etwas verkürzt – auch wie beiläufig die Boys auf jene Songtitel kommen, bringt einen netten Anteil schelmischer Zufälligkeiten. Der restliche Aufbau dorthin bleibt jedoch merkwürdig tonfrei, verhalten und arg konventionell; biografisch direkt, aber zu lang an den dramaturgisch-schleppendsten Haltestellen hängend: Wie kommt die Freundschaft und Chemie der Gruppe zusammen? Wieso wollen sie Musik machen und darin aufgehen? Wie entdecken sie überhaupt ihren Sound? Alles Fragen, die von einer Aneinanderreihung mühsam-langweiliger Methoden zur Verdichtung von Business-Verbindungen überschattet werden. Ist das eine Realitäts-bedachte, abgeklärte Abhandlung über die harten Wege des Ruhms? Mag sein, aber Eastwood lässt in seinem stets gedämpften Look nicht gerade durchscheinen, dass überhaupt jemand Lust auf die ganze Chose des Showbiz hätte, erst recht nicht unbedingt mit den jeweiligen Band-Partnern. Da bleibt folglich die Sinnhaftigkeit der Loyalität untereinander etwas auf der Strecke.

Sobald der notorische, selbstgefällige Verschwender DeVito einen Haufen Schulden auf sich lädt und Valli sich dazu entschließt, diese Stück für Stück abzubezahlen, bekommt man kein wirkliches Gefühl dafür, warum er ihn nicht schlicht fallen lässt, außer vielleicht, dass sie aus derselben Nachbarschaft und Zeit kommen – ansonsten hat jeder schlicht den anderen satt. Das Schlimme an der Sache ist, dass selbst dieser Konflikt keine inszenatorische Spannung nach außen trägt und stattdessen ebenso trocken und farblos wie alles andere auch abgearbeitet wird. Auf Exzess muss man verzichten, auf Spaß und Intensität, dafür erhält man ersatzweise die ewig gleichen Abläufe von der fehlenden Harmonie zwischen Erfolg und Ehe. Ist natürlich klar, dass in jener Ära, die der Film (stilvoll, aber nie pointiert ausgestattet) repräsentiert, erhebliche Chauvi-Faktoren unterwegs waren. Sympathischer macht es den immerhin souverän-spielenden Cast aber nicht unbedingt.

Den einzigen prägnanten, weiblichen Bezugs- und emotionalen Höhepunkt findet man in der Tochter Vallis, Francine – die Szenen mit ihr beherbergen ausnahmsweise tatsächliche Fragmente eines empathisch-unterstützenden Scores sowie eindringlicher Kameraarbeit und zeigen ohnehin am Stärksten das Herz Frankie Vallis auf, der als unbeholfener Teen ins Geschäft einstieg und immer mit ein bisschen Demut darin unterwegs war, bis er in ihr einen Anker findet, den er selbst in der Scheidung von der Mutter unterstützen möchte. Schade, dass gerade solche Momente wie der Song-Anteil äußerst schwach und minimal verteilt sind. Dennoch rufen sie zum Ende hin einen effektiven Einschlag hervor, an dem Frankies Persona zerbricht – auch wenn seine an sich interessante Geschichte immerzu von nebensächlichen Ballast anderer Kollegen abgelenkt wird.

Eine kleine Versöhnung bringt Eastwood dann schlussendlich mit einer Comeback-Wiedervereinigung in den neunziger Jahren hervor, in welcher unsere Barden reichlich alterndes Make-up verpasst bekommen haben und in die Kamera erzählen, was aus ihnen geworden ist, während sich die letzte große Nummer ankündigt. Und sobald da der Abspann einsetzt, trifft einen der Schlag: Die Entstehung des berüchtigten Sounds der Gruppe wird gezeigt, plötzlich poppen die Farben auf, extravagante Choreographien und ein wahrlich bombastischer Song-Track präsentieren eine aufbäumende Energie, den Geist des Broadway-Stücks, wie man es vom gesamten Film erwartet hätte. Diese Einsicht kommt spät, aber sie schließt „Jersey Boys“ einigermaßen fulminant ab, auch wenn man den Weg dorthin trotzdem nicht allzu gut oder gar wach verdaut hat und kaum wieder bewandern möchte. Auf jeden Fall macht es Lust auf jenes Musical, auf dessen Erfolg sich Eastwoods Film gestützt und nur das Minimum am Lust in der Leinwandumsetzung aufgewendet hat.

Meinungen

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