„An jedem verdammten Sonntag“ ist ein OliverStone-Film, wie er leibt und lebt, ein- und ausatmet, ohne Pause, immer schneller, immer heftiger. Ein Rausch. Ein Traktat unaufhaltsamer Wucht, hyperästhetisiert, überreizt und nah am Kollaps. Auch hier kann es Stone nicht lassen, sich als grobgeistiger Rebell Hollywoods zu positionieren. Zivilisationskritik, Medienschelte, Männlichkeitswahn, Kriegsmetapher: alles vertreten. Die Geschichte zerbröckelt in einzelne fragmentarische Risse, formal vermischen sich die Bilder zu einem angerührten Matsch unterschiedlichster stilistischer Verfremdungen. Zeitlupe und Zeitraffer, Point-of-View-Shots, Splitscreen, Farbumkehr und der Kontrastregler sind die Instrumente, um das Schlachtfeld zu vergegenständlichen. Unzählige Cutter arbeiteten an jenem, was als tosendes Schnittmassaker übermannt und zunächst Einfühlungsvermögen fordert. In der Montagearbeit ist dieser Stone auf der Höhe, da ist dieser Stone gierig. Seine Bildformationen bremsen selten, die entschleunigten Momente der Stille sind an einer Hand abzählbar, die großen beschleunigten dagegen beben vor martialischem Pathos, wenn die Zeit gegen das Team arbeitet und es droht, auseinandergerissen zu werden. Neun Sekunden bleiben den Spielern, nicht unterzugehen. Linien, Markierungen, Rasenflächen müssen überschritten werden.

Dem amerikanischsten des amerikanischen Sports hat Stone folglich nichts Unamerikanisches hinzuzufügen, außer sich zunächst auf ihre amerikanischen Ursprungseigenschaften zu berufen, anhand des Footballs, Ehre, Ruhm, Familie und das manchmal letzte heroische Aufbäumen vor der Niederlage abzuleiten. Amerikanisch eben. Herausgeputzte Oberkörper, moderne Gladiatorenrüstungen und wulstige Arme aus der Muckibude, schreien, geifern, pöbeln, kotzen, kloppen, huren, schnüffeln, saufen. Kaum eine Szene verhehlt ihre maskulinen Obsessionen ebenso sehr, wie sie ihre Analogie des Alten Rom erneuert. Das Adrenalin steigt im sonnig-schwülen, gleichwohl beißwütigen Miami und Ben Hur verschreibt sich im Flachbildfernseher dem ikonischen Wagenrennen. Beim Quarterback, dem Anführer der Mannschafft, sollte es donnern, und noch lauter, viel lauter sollte es rumsen. Wie Gewitterkaskaden. Während eines Disputs zwischen dem kontinuierlich zahnlosen Coach (Al Pacino) und seinem verheißungsvollsten Talent (Jamie Foxx) verschachtelt Stone William Wylers Bestenlistenfilm mit dem Stadion und Streit doppeldeutig. Es sind Collagen wie diese, in denen Stone selbstreflexiver Kontrastwut erliegt, die stets mit Power belagert.

Der Regisseur bleibt allerdings distanziert, analytisch. Einerseits trauert er zwar jenem eingerosteten Football-Verständnis nach, als es einstmals keine grobschlächtige Berichterstattung gab, wo der Sport de facto von allen noch existierenden Zwängen globalisierter Image-Selbstkasteiung befreit war. Aber der für den Autorenfilmer salonfähig gewordene Kulturpessimismus findet in diesem Film nur andeutungsweise statt. Lieber malt Stone ein idealisiertes Bild des kämpferischen Soziotops. Dazu studiert er das Geschehen, lässt nahezu keinen Winkel aus, kein Verhältnis, kein Schlupfloch, auch kein dreckiges. „An jedem verdammten Sonntag“ erweist sich mehr als ungeschönter Blick in das Umfeld des Sports, als ein Film über den Sport. Der Sport als solches ist die Folie, auf der sich tiefgreifende Veränderungen sowohl menschlicher, gesellschaftlicher als auch sportlicher Natur spannen, in beide Richtungen. Die Kamera ist nah dran, rückt den Spielern auf die Pelle, lässt sich nicht verdrängen, begleitet, heftet sich an die Fersen, selbst mitten im Spiel. Ab in die Kabine, unter die Dusche (Penisschau inklusive), auf die Party, auf die Toilette, in die Kneipe, an den Spielfeldrand, zum Mannschaftsarzt. Zurück, wieder nach vorn, durch schlammigen Rasen, über malträtierte Körper hinweg, deren Kinetik zum Zeitpunkt des Aufpralls von Fleisch und Fett Stone pathetisch mitzuteilen weiß: Michael-Bay-Explosionen ohne Feuer. Dazwischen musikalischer Pomp, ein Einerlei aus Spiritual, Hip Hop, Rap, Techno, die gesamte Bandbreite.

In den gleichfalls in Schatten und Licht verlorenen Figuren einer gemeinhin raumausfüllenden Besetzung spiegeln sich die Erschwernisse auf dem Weg zum Ziel. Klar ist hierbei aber auch, dass das Drehbuch unbestreitbar die Meriten des Sportfilms wiederholt (da das Koksen, dort die Verlockung des Werbegeschäfts, der Star als angeberischer Einzelgänger sowie der abgebrannte Trainer, dessen Tugenden von der Hinwendung des Sports zur Ökonomie untergraben werden; auch das letzte gezeigte Spiel ist dramaturgisch vorhersehbar). Doch Stone blickt in facettenreiche Schicksale und mahnende Entwicklungen, betont das Klischee nie übermäßig zum Klischee. Dafür kokettiert der Film eindeutig damit, auch inhaltlich auf eine anregende Perspektive abzuzielen: Wenn der medizinische Ethos verletzt wird, um des Spielers einzige Berufung, trotz schwerwiegender Verletzung, ein allerletztes Mal zu akzeptieren, obsiegt die Macht über die Vernunft. Und in den ausgelaugten Gesichtsfalten Pacinos die Sehnsucht der Vergangenheit über die zerstörerische Gegenwart. Für sein Team, die Miami Sharks, ist es am Ende nicht der erhoffte Triumph, obgleich sie die entscheidenden Punkte geholt haben. Sie haben ihr Finalspiel noch vor sich. Eher ist es ein neuer Schritt, eine tiefgreifende Veränderung. Jeder Sonntag wird verdammt sein.

Meinungen

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