Charlie Kaufman ist zurück mit seinem existenzialistischen Konzeptfilm „Anomalisa“, der in seinen kleinsten Details ein inniges Gesamtbild im Dienste der Beobachtung ergibt, diese aber nicht für eine Sekunde über die Belange der Charaktere stellt. Ausschlaggebend ist dafür eine Inszenierung, mit der er durch Koregisseur und Trickspezialist Duke Johnson die Veräußerlichung emotionaler Komplexe über Stop-Motion zum Leben erweckt. Die Figuren der Beiden fügen sich zu naturalistischen Abbildern von Menschen, beherbergen in ihren Gesichtern jedoch Einzelteile, die sich je nach Einzelbild austauschen lassen. Jene Stilistik ist keineswegs bloße Ästhetik oder Selbstzweck, sondern verankert in der Wahrnehmung des Protagonisten Michael Stone (gesprochen von David Thewlis), einem britischen Advokaten des Kundenservices, der zu einer Konferenz im Herzen Cincinnatis eingeladen wurde. Überall machen sich ihm Mechanismen der Zugänglichkeit bemerkbar, Gebrauchsanweisungen, zu befolgende Tipps und Empfehlungen – damit er sich fühlt, wie jeder andere auch, sprich Mitgefangener der Langeweile wird.
Bewegungsabläufe und Gesichtsausdrücke sind zudem in der Kontrolle der Technik gefangen, per Künstlichkeit choreografiert und somit auch Teil von ausgeklügelten Plansequenzen, die in ihrer Wahrung der Gemütlichkeit zum Rauchen anregen – der innewohnende Zerfall ist Michael erst subtil ersichtlich, dann brutal geläufig wie Caden Cotard in „Synecdoche, New York“. Über allem hängt der Schatten der letzten Beziehung, der er einfach entflohen ist, doch die sich nun in jedermann bemerkbar macht. Michael predigt in seinem Beruf zwar die Stimme des Individuums – aber er kann sie nicht mehr hören. Kaufman reflektiert dies in einer Konsequenz, der man langsam, aber nicht kryptisch auf die Schliche kommt. Denn obgleich seine Figuren nach Perfektion und Glück streben und denken, lungert darin auch die Angst vor der Imperfektion, die im Stop-Motion-Verfahren nicht kaschiert wird, sobald einzelne Frames leicht verschiedene Hauttöne und Positionen einnehmen. Umso prägnanter stellen Kaufman und Johnson das Menschliche eines Ensembles heraus, dessen Komplexe und Makel nicht verborgen bleiben, egal, wie sehr es sich bemüht.
Michaels Vision kann und will allerdings nur schwer unterscheiden und Bezug finden, solange er sein Ich nur nach innen kehrt, Erwartungen folgt und wehmütig aus Fenstern blickt. Der Kundenservice umfasst alle Lebensbereiche, bis dann doch die Einzigartigkeit Lisas (Jennifer Jason Leigh) zu ihm dringt. Ihn reizen ihre kleinen Besonderheiten, ihre Unsicherheiten und Narben, durch die sie einzigartig wird – ein Unikat, dem er verfallen ist, obwohl alle ihre Begleiterin weit mehr „liken“, wohl weil diese auch „like everybody else“ (Tom Noonan) ist. Solche Hinweise spielt Kaufman gerne aus, die Suggestion gibt er teilweise, aber nie anbiedernd für direkte Ansprachen und Brüche der vierten Wand auf. Auch was das Wortspiel des Filmtitels betrifft: Die Mona Lisa nämlich, deren Natürlichkeit oder auch natürliche Imperfektion einst zur Kunst erkoren wurde. Ebenso feiert Michael seine Entdeckung, ist aber auch um Fassung bemüht, wie er sein Glück hält: Er kümmert sich um ihr Wohlbefinden bis zur vollsten Zufriedenheit, und kann dennoch keine Meisterleistung liefern. Dass gerade das ihn aber wahrhaft und schön macht, ist wiederum jene helle Seite des Herzens des Films.
Die tragische, aber noch lange nicht überfordernde Seite kennzeichnet sich durch den Zwiespalt einer Beziehung, die zumindest aus Michaels Perspektive (die Kaufman auch entschieden als solche zeigt) nur zur Entsättigung des Individuums führt, sprich das niederschmettert, was die Liebe erst entfacht. Wie Kaufman und Johnson diese Seiten balancieren, resultiert in einem komplexen wie zugänglichen Kabinett menschlicher Erfahrungen, das in der Absurdität des Alltags leichtfüßig Pointen einsetzt, der Ordnung freche Flüche entgegen schleudert, aber auch idealistische Hoffnungen zunichtemachen kann. Unter den Umständen ist es Michael unmöglich, seinem eigenen Wesen zu entkommen – Kaufmans Drehbuch beutet den Zustand aber weder für Sentimentalität aus, noch entzieht er ihm den Respekt einer offenen Behandlung. „Anomalisa“ zeichnet sein Bewusstsein auf, dringt in seiner Animationstechnik zu privaten Momenten vor, die in ihrer Art nicht verkrampft wirken können, aber genau die Verkrampfung des Menschen im Bezug zum Körper, zum Gegenüber und zur Gesellschaft verdeutlichen, gleichzeitig mit ihr sympathisieren und als Ausdruck der Schönheit sowie Kunst darstellen.
Lösungen existieren nicht – nur das Dasein. Und dieses gestaltet Kaufman so persönlich, wie es bei ihm seit jeher aufs Neue überwältigt. Wohl deshalb waren erst Massen an Kickstarter-Unterstützern von Nöten, deren Namen im Abspann ironischerweise zu einem Kanon gegengeschnitten werden, der die immer gleichen Stimmen zum erdrückenden Tongewitter ballt. Wer sich solch ein Konzept traut, muss es heutzutage erst einmal umsetzen, bevor ein Studio wie Paramount die Checks deckt.
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