Vom Film noir beeinflusst spannt Diao Yinans Kriminalgeschichte „Feuerwerk am helllichten Tage“ einen ungeheuren Spannungsbogen, der ideal getimt ist und von latenter Brutalität als auch Suspense lebt. Mit fantastischen Schauspielern gelingt es dem ehemaligen Drehbuchautor in schmutziger Ästhetik zu faszinieren und setzt dabei impulsive Akzente durch Musik und Kamera. Bei der Berlinale 2014 war die überraschende Auszeichnung mit dem Goldenen Bären keineswegs unumstritten, aber wahrlich das Gegenteil einer Fehlentscheidung.
„Bai Ri Yan Huo“ heißt das Glanzstück der Berliner Filmfestspiele auf Chinesisch, übersetzt: „Feuerwerk bei Tageslicht“. Ein wahres Feuerwerk an dezenter Gewalt, dem Kontrast von Schönheit und Grausamkeit, dem expandierenden Strudel der Verarmung, der Frage nach der ursprünglichen Schuld aller rigorosen Taten und dem Schein der scheinenden Vertrautheit. Dass „Black Coal, Thin Ice“ (so der englische Titel; zu Deutsch: „Schwarze Kohle, dünnes Eis“) unter zwei verschiedenen Titeln vertrieben wird, erklärt Diao mit einem künstlerischen Anspruch der Ambivalenz. Auch seine Charaktere, die er selbst schon vor zehn Jahren erschuf und weswegen die Geschichte um 2004 stattfindet, haben ambivalente Züge in ihrer Verhaltensweise. Diao will die schwarze Seite jedes Einzelnen aufzeigen, passend zu den kontrastreichen, in Neonlichtern getauchten Einwegstraßen Chinas. Das Leben ist eine Einwegstraße, es gibt nur eine Bewegung nach vorne, keine zurück, wenn man rein die Physis betrachtet. An allen Ecken lauern einladende Gefahren und versperrte Hoffnungen, es locken Liebe und Libido, es gibt vertraute Wege im Licht und beängstigende Wege im Schatten.
Die Menschen in Diaos dritter Regiearbeit sind auf solchen zwielichtigen Wegen innerhalb des nordchinesischen Kosmos’ und feuern um sich. Der Polizist Zhang Zili (Liao Fan) wird 1999 wegen einem Blutbad auf der Suche nach einem oder mehreren Leichenzerstückler(n) vom Dienst suspendiert, 2004 werden die Untersuchungen wegen ähnlichen Vorfällen jedoch rekapituliert, sodass er auf eigene Faust versucht, den Mörder ausfindig zu machen. Einzelgänger-(Ex-)Cops gab es schon einige, doch aufgrund des Bezugs zur politischen Lage und den monetären Mitteln der Kleinstädtler Nordchinas ist Zhang ein äußerst interessantes Novum, da er zudem nach seiner Suspendierung in einem Loch der lethargischen Banalität feststeckt und der Fall um die grausamen Leichenfunde sein Blut wieder kochen läßt.
Die erwähnte dezente Gewalt blitzt immer wieder habgierig, aber stilvoll auf, sodass die Szenen akzentuiert werden und im richtigen Augenblick ihren Reiz erhalten. Gewalt ist herrschend in diesem Teil der Natur des menschlichen Egoismus’. Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei) ist eine bezaubernde, introvertierte Frau, die Zhang im Laufe des Krimis kennenlernt und deren Beziehung zueinander eine weitere Ebene in diesem distinktiven Meisterwerk guten Erzählens hinzufügt. Die Stränge verweben sich, die Spannung steigt, Diao schafft es, einen Kriminalfilm im Stile des Film noir nach amerikanischem Vorbild zu gestalten, ohne plagiatorisch zu werden, sondern durch die asiatische Kultur seine Herkunft zu betonen und sowohl Setting als auch Handlung zu verdichten. Der Kontrast von fragiler Schönheit und Grausamkeit bettet sich clever im Zusammenspiel von unwiderstehlicher Neugierde, Begierde, reservierter Introversion und Überlebenswillen ein.
Die insgesamt melancholische, mysteriöse Stimmung der Erzählweise hält den Zuschauer fest. Melancholisch, da die Kälte des Winters und der Menschen wie Eis auf dem Rücken zerläuft; mysteriös, da man in dieser verkommenden Gegend Chinas niemandem vertrauen kann, weil Egoismus als Überlebensmethode vorherrscht. „Feuerwerk am helllichten Tage“ schafft Dynamik inmitten sich im Kreis laufender, im Kreis tanzender Menschen und verdient großes Lob für seine Lakonie inmitten dieser. Die fragile Sehnsucht nach dezenter Gewalt herrscht mehr vor, als es jene natürlich tut und wenn die Schönheit fragil wirkt, ist Vertrautheit nicht immer Wissen.
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