Architektur kann erwürgen, je nachdem wozu sie benutzt wird. Die innewohnenden Menschenleben stehen in J.C. Chandors Debütfilm „Der große Crash – Margin Call“ an der Spitze der Wolkenkratzer, allerdings schnürt die Luft dort unbarmherzig zu. Der Blick nach draußen, ins moderne New York, verspricht reichhaltige Möglichkeiten, doch die Karriere zwingt zum mehr oder weniger freiwilligen Druck nach innen. Die Optik dazu konstruiert kontrastreichen Style; dessen Macht kann man nur mit Ermattung begegnen, sobald man in der Rücksichtslosigkeit des Börsensystems, ganz entmenschlicht wie ein Datensatz, abgekoppelt wird. Die Furcht gehört zum Beruf dazu, ist kalkulierbar; der Verlust bleibt aber weiterhin schmerzlich. Eric Dale (Stanley Tucci), jahrelang im statistikbasierten Krisenmanagement angestellt, ist da einer der Ersten, der fliegt. Seine Kollegen leiden in seinem Tribunal mit, da sie wie er die Vorzeichen des Zusammenbruchs spüren.

Keiner weiß aber um deren Ausmaße so sehr Bescheid wie er und gibt sie sogar nach der forcierten Entfremdung von der Firma an den jungen Vertrauten Peter (Zachary Quinto) weiter. Während nämlich die Abteilungsleiter vom Verlust ablenken und schon Aufstiegschancen darauf versprechen, bröckelt die Oberfläche des professionellen Nihilismus. Mitten in der Nacht holt Chandor ein Ensemble an Schauspielgrößen heran, das einen Ausweg aus der verwirtschafteten Misere sucht und schnelle, wie auch kompromisslose Lösungen anfordert. Die Ehrfurcht erreicht den Zuschauer allein durch die erhabene Besetzung (unter anderem: Kevin Spacey, Jeremy Irons, Simon Baker, Demi Moore) – hinter diesen Machtmenschen steckt aber nicht ausschließlich die Abgeklärtheit. Insbesondere Spaceys Rolle des Sam Rogers hadert mit der Verantwortung gegenüber der Belegschaft sowie mit der Gewissheit der Entbehrlichkeit. Menschenleben werden durchweg unter Wert verkauft, wichtiger wiegt zunächst das millionenschwere Einnehmen und Ausgeben.

Tragische Umstände des Alltags, die selbst der äußerst geschickte Makler Will Emerson (Paul Bettany) nicht schönreden kann – man macht sich nichts vor, wie die hohen Gehaltssummen kommen und gehen. Chandor ist ebenso konsequent und bildet allmählich von Dramaturgie, nicht aber von Spannung befreit, die Unvermeidlichkeit des Prozederes ab: Experten versuchen noch zu retten, was zu retten ist (zuvorderst Geld); einige hohe Tiere bleiben abgesichert, die meisten jedoch nicht. Alles muss raus – verkaufen, verkaufen, verkaufen oder auch: „Be first, be smarter or cheat“. Eine ungewisse Zukunft und die Unverhältnismäßigkeit des kapitalistischen Wirtschaftswesens sind die Eckpfeiler der existenzialistischen Klaustrophobie in Chandors Inszenierung und Drehbuch.

Die stellt er im Vergleich zu seinen späteren Werken expliziter im Dialog aus, wenn auch nicht viel weniger konkret als dort. Sein Verständnis für die moderne Sozialität folgt hier demnach weniger filmischer Stichwortsetzung als der offenen Kommunikation (abgesehen von einigen eher beliebigen Score-Einsätzen Nathan Larsons – ein Glück, dass ab da Alex Ebert übernahm). Darin wirkt die Abweisung schon kalt genug, wie auch die Empathie greifbarer erscheint. Was bleibt denn auch sonst innerhalb der verklemmten Konstruktion der Karriere, der man weder im Hellen noch im Dunkeln entkommen kann? Die Hoffnung, dass sich irgendwas im Zyklus der Finanzkrisen verändert, kann man jedenfalls nur noch vergraben.

Meinungen

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