Sobald Matthias Schweighöfers neuer Film „Der Nanny“ anfängt, glaubt man, sich in einen galanten Werbespot verirrt zu haben, inklusive Pop-Pathos, Voice over über „Ziele, die vor einem stehen, man aber nie erkannt hat“ sowie Panoramen vom nachdenklichen Profil des Regisseurs, Ko-Autors und Hauptdarstellers Schweighöfer. Sofort erwartet man eine ironische Brechung, das jenes prätentiöse Gedöns im Rahmen des Narrativs nur inszenierte Schau sein müsste. Falsch gedacht: Mit blankem Ernst blendet der Titel ein und bereitet einen auf den folgenden unvereinbaren Kontrast von klischeehafter Blödelei und einlullender Familienkiste vor. Zu Beginn steht bei Lebensversager Rolf Horst (Milan Peschel) der Abriss der Bude und auch seines geliebten Viertels an. Verzweifelt wird zusammen mit Milieu-Spießgesellen nach einer Lösung gesucht, das kommende Unheil vom Bauunternehmen zu verhindern – ganz wie in „Werner – Volles Rooäää“. Darum sucht das plakativ gezeichnete Proletariat, motiviert durch einen Ausschnitt aus „Falling Down“, die skrupellosen Drahtzieher auf, um ihnen die Meinung zu geigen und vielleicht doch noch vom Bauvorhaben abzuraten.

Also geht es zur Familie des alleinerziehenden Baulöwen Clemens (Schweighöfer), dessen Anwesen hoch auf einem Hügel bebaut wurde, von dem man sinngemäß hochnäsig auf das Volk herunter schauen kann. Doch auch da hängt der Haussegen schief: Die Kinder Winnie (Paula Hartmann) und Theo (Arved Friese) stellen nur Unsinn an und vertreiben mit ihren fiesen Späßen auch das geduldigste Kindermädchen. Sie sind rebellisch, beleidigen alle und sich gegenseitig. Aber der Fall ist klar: Ihr Dandy-Daddy hat nie Zeit für sie, denkt nur an die Deals und hört einfach nicht zu. Für eine glasklare Komödie geht das einigermaßen in Ordnung, wenn man denn genügend Potenzial aus der folgenden Situation zieht: Der stets verwirrte Rolf wird als neue(r) Nanny eingestellt, nachdem er zufällig mit bereits erhobener Faust auf Clemens’ Anwesen aufkreuzt und dieser ihn natürlich für einen Jobanwärter hält, nachdem die Stelle gerade frei geworden ist.

Jedenfalls sind die Kids über ihren neuen Bewohner nicht gerade erfreut und testen schon mal aus, wie heiß sie ihm das Leben zur Hölle machen können. Deshalb kriegt er wortwörtlich einen Chili-Cocktail serviert. Nun blubbert es im Magen, Verdauungshumor inklusive verdrehter Augen im Anmarsch! Aber da ist er nicht alleine mit seinem Darmgewitter: Weil sich Clemens nicht für das Anliegen der kleinen Leute interessiert, verabreicht Rolf ihm in seiner Rachsucht aus Versehen die Überdosis einer krassen Droge. Wem bei diesen Aussichten schon ein Lachkrampf überkommt, sei gewarnt, dass der Film sich dann doch im Verlauf etwas ernst nimmt. Das fängt schon in der elitären Schule von Winnie und Theo an, in der die beiden versetzungsgefährdet sind und schon mit unerfüllter Liebe hadern, immer auch aggressiv agieren und spekulative Jugend-Schimpfwörter ausspeien („Du Brain!“ und „Bitchfight!“).

Daraus erbaut sich das zentrale Thema des Films, dass Clemens geläutert werden muss, zu seiner Familie zu stehen, mal von der Karriere abzuschalten, vielleicht auch mal eine neue Mutter für die Beiden zu finden und dementsprechend auch Rolfs Familie im Viertel zu beschützen. Und deshalb muss man als Zuschauer ständig anhand klischeebeladener Phrasen, Grimassen und Situationen daran erinnert werden, wie wichtig diese Lebenseinstellung ist. Rolf lässt da als Ventil des trotteligen, aber liebenswerten Menschenkenners von der Straße nichts ungenutzt und weiß immer mit einer wahnwitzigen Anekdote sowie einfacher Güte das Leben seiner Schützlinge von Grund auf zu verändern. Von der Familientherapie zum gemeinsamen Floßbau bis hin zur Erlaubnis, die Tochter auf eine Party zu ihrem Schwarm zu lassen, ist alles drin – und die filmische Standardgestaltung, die Schweighöfer inzwischen recht glatt drauf hat, unterstützt das mit warmer Optik nach dem Vorbild Til Schweigers und einer Musikuntermalung schwelgerischen Schmalzes, anhand derer eine Katharsis für platte Rollenmodelle lanciert werden soll.

Wie man sich vorstellen kann, ist diese Gefühlsduselei von erschreckender Belanglosigkeit, aber dann doch in solch hoher Konzentration anbiedernd wie das Product Placement von Krombacher Hell. Es ist geradezu unfassbar, wie engstirnig die ältesten Kamellen aus über hundert Jahren Filmgeschichte zur Hymne für Familienzusammenhalt aufgewärmt werden. Die Mischung des Films schmeckt einfach gleichsam ledern und überwürzt; kredenzt dann aber auch Szenen, die nach einer Reflexion des modernen Familienlebens streben und darin eine weit hergeholte Pointe suchen. Letztendlich läuft alles auf einen Schluss hinaus, der sich so weltfremd aus dem Fenster lehnt, was den Kampf zwischen Arbeiterklasse und Oberschicht angeht, dass der Tag im dramatischen Zeitlupenregen gerettet und den vorlauten Fieslingen wie bestellt auf die Fresse gehauen werden muss. Solch einen überhöhten, selbsternannten Pathos erlebt man selten – und das, obwohl sich der Film anfangs so entschieden als hanebüchener Quatsch verstand.

Meinungen

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