„Der Sohn von Rambow“ beginnt im Kino. Später wird er auch in ihm enden, im selben Saal, zu einer anderen Vorstellung, zu einer anderen Zeit, in der ein anderes Publikum sich für zwei Stunden in Sitze quält, die durchgesessen und unbequem sein können. Aber es ist eine Frage des Films, und der erste Kinobesuch führt den Lausebengel Lee (Will Poulter) in „First Blood“; den ersten „Rambo“ – die Schlacht eines wortkargen Vietnamveteranen, den Sylvester Stallone damals im Jahr 1982 gegen Modernität mit Körpereinsatz und ebenso viel Blut verkörperte.
Illegal filmt der Knirps mit Zigarette in der Hand „Rambo“ ab, eine Videokamera auf seinem Schoß und mit leicht gelangweilten Blick in der Augen, als wolle er sagen: „Bloody Bullshit“; als denke er ernsthaft sein Leben wäre schwerer als das des Mannes, der einzig unter seinem Bandana ein paar Zentimeter sauberer Haut besitzt. Lee ringt mit seinem Alltag. Kein Tag vergeht in der Schule, den er nicht von einem schreienden Lehrer aus dem Klassenzimmer gejagt wird, kein einziger ohne von seinem Bruder oder seinen vor Langeweile sterbenden Freunden angepöbelt zu werden. Und dann ist da Will, der schüchterne Will Proudfoot (Bill Milner), der seinem Namen alle Ehre macht … Sie lernen einander auf dem Flur kennen: Will, ein Sohn streng Religiöser, der weder Filme sehen, noch Musik hören darf; Lee, unerzogen und streunend, sein Vater abgehauen, seine Mutter ständig auf Reisen. Für Will muss er der Teufel sein. Doch der Teufel lehrt ihn „Rambo“.
Ich hätte alle töten können. Ich könnte auch dich töten. In der Stadt hast du die Macht, nicht hier. Geh nicht weiter. Hör auf oder du hast einen Krieg, den du nie begreifen wirst! Lass uns aufhören. Lass es sein!
Ein Moment der Vorstellung lässt ihn zum Sohn Rambos werden, gegen Vogelscheuchen und hundsgemeine Ninjas kämpfen; als Held, der weder Angst noch Wasser scheut und seinen Vater rettet, der in der Realität an einem Aneurysma starb. „Der Sohn von Rambow“ enthält jene surrealistischen Tendenzen des ausbrechenden britischen Kinos, die eine eloquente Mischung aus der Magie der Märchen „Harry Potter“ und „Die Chroniken von Narnia“, sowie Momente der Ernsthaftigkeit beinhalten. Der Film driftet so nicht in einen unendlichen Nimbus der Traumwelten ab, sondern hält den Bezug zur Wirklichkeit und bildet gleichzeitig die innere Zerrissenheit seiner Protagonisten fortwährend ab. Die Spaltung seiner Charaktere spaltet nicht den Film, der Film spaltet seine Charaktere in kleine Bruchstücke, um sie reifen zu sehen, zu lassen – und mit ihm das Drama über die Komödie zu stellen.
Das Grundmotiv von „Der Sohn von Rambow“ – die Liebe zum Film, bis über den Genuss des alleinigen Sehens hinaus – schielt über den Rand von Michel Gondrys thematisch ähnlich angelegtem „Abgedreht“, weil er die Freundschaft der Jungen reifen lässt und den wunderbar verrückten Kurzfilm beinahe ins Abseits manövriert; seine filmische Liebe zu nutzen, aber kaum auszunutzen weiß. Fast wagemutig ist auch sein Gang das filmische Experiment in der eigenwillig schrägen Kurzweile des Theaters darzustellen. Der Zuschauer wird Beobachter, weil der Rollenwechsel plötzlich eine andere Sichtweise zulässt, weil hier im Jetzt ein Ergebnis vorgetragen wird und nicht nur eine Exkursion stattfindet – die Fantasie also durchaus Realität werden kann und ein Publikum findet. Eines, das voller Begeisterung klatscht und Film zelebriert. Garth Jennings gelingt sogar, was ihm in „Per Anhalter durch die Galaxis“ verwehrt blieb: Die Quirligkeit seiner Protagonisten und den Flair seiner Fantasiekomplexe mehr als die Nostalgie der 80er spüren zu lassen. Da tönen und pumpen die rauen Stücke des New Wave und mit großartiger Freude, plötzlich, da Will populär und revolutionär wird, und auch vergisst wie alles begann, stürmen die Kinder auf seine Idee, und lassen sie platzen unter dem Regime des französischen Austauschschülers Didier, der sich selbst als Persiflage seiner Figur „Le Wolf“ erkennt.
Will landet im Mainstream, in einer ungeahnt großen Produktion mit ungeahnt vielen Statisten, ungeahnter Zustimmung und ungeahntem Missfallen, wie viele Stränge die entfachte Freude trüben können – und mit ihm landet der Film im Mainstream, der verbogen und schwer einen Konflikt darstellt, den er kaum tragen kann. Auch davon erzählt Jennings „Der Sohn von Rambow“: Von dem Ausbruch aus dem Elternhaus und dem Dahintreiben einer Jugend, die zwar findet, was sie begehrt, aber genauso schnell vergisst, wie spannend das Einfachste sein darf. Selbst der völlig falsch geschriebene Held hat eine Bedeutung: Vorbilder als eine Entwicklung des Geistes zu sehen. Die dürfen ruhig Knarren in den Händen halten und ihre Dialoge und manch Monologe knurren, finster schauen und sich nie die Augen reiben; die dürfen alle negativen Eigenschaften haben. Die Person Rambo mag der Teufel sein, der Film allerdings lässt die Relevanz des Kinos erstehen. Und das darf ruhig auch blutig enden.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Der Sohn von Rambow“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.