Mia Hansen-Løve sieht ihre ersten drei Filme „Tout est pardonné“ (2007), „Der Vater meiner Kinder“ (2009) und „Eine Jugendliebe“ (2011) als eine Trilogie an. Nach diesem Kapitel wandte sie sich vergangenes Jahr einer sehr persönlichen Geschichte zu: dem Werdegang ihres Bruders Sven Hansen-Løve als Garage-House-DJ und -Interpret, beginnend in den pulsierenden neunziger Jahren, in denen die französische Ekstase keinen Halt fand und eine der vielen Musik-Revolutionen des 20. Jahrhunderts auslöste. Der French Touch war geboren und hat noch heute eine sehr prägende Auswirkung, was am besten am Beispiel von Daft Punk zu erkennen ist. „Eden“ handelt nur am Rande von dem besagten Duo, denn der Mix aus Autobiografie, Fiktion und Evokation der schlummernden Erinnerung namens Paul (Félix de Givry) ist der eigentliche Protagonist des Dramas. Genau hier kommt der Soundtrack ins Spiel, der Paul unterstützen müsste, aber eher dazu dient, „Eden“ überhaupt am Laufen zu halten.

Der redundante Film lebt nämlich fast ausschließlich von seiner Musik; die langweilende Monotonie gibt genügend Gründe, ihn gedanklich vorzeitig zu verlassen. Dennoch bleibt der Ausgang der Geschichte zu einem gewissen Grad interessant, weshalb der nicht vorhandene Spannungsbogen eher eine Konstante ist. Die Regisseurin sieht den Weg ihres Bruders durch die Musik und das DJ-Dasein als einen riesigen, wundervollen Umweg zur Literatur. Natürlich ist das in einem gewissen Rahmen auch anschaulich porträtiert, aber eine semibiografische Geschichte kann nicht durch einzelne, kaum zusammenhängende Szenen funktionieren. Vielleicht wollte Hansen-Løve in Wirklichkeit die drogenbedingte Zusammenhanglosigkeit eines DJs durch Kokain und Co. darstellen, jedenfalls bleibt ein äußerst fragmentiertes Bild von Paul übrig, das größtenteils aus wildem Umherspringen auf Partys, Sex mit verschiedensten Frauen, Geldproblemen und eben jener Kokainsucht besteht.

Insgesamt 42 Titel werden in 131 Minuten zumindest angespielt, darunter neben Daft Punk auch Sueño Latino, M.K., Frankie Knuckles, Watanabe, Jabberwocky, Terry Hunter und Kerry Chandler. Für Fans der Szene auf jeden Fall ein Genuss; umso mehr schade, dass keine gelungene Kombination aus Spiel- und Musikfilm entstanden ist. Anstatt die spezielle Liebe und Affinität zu diesen Klängen zu erklären oder den möglichen Eskapismus einer ernst gemeinten Berufung entgegenzusetzen, werden die Raves auf sehr ähnliche Weise gezeigt, ohne dass sie sich in der Inszenierung wahnsinnig von heutigen Veranstaltungen unterscheiden. Das wäre das Interessante gewesen. Schließlich sprechen Musikjournalisten von einer Generation des French Touch – doch der Zuschauer bekommt nichts von der Herkunft, dem Ursprung mit. Einzig die ungewöhnliche Herausforderung des jungen Paul, zusammen mit seinem Partner in das Musikgeschäft einzusteigen, anstatt sein Studium abzuschließen, mag diese prägende Epoche ein wenig charakterisieren. Mit viel Detailarbeit wurden zwar alte Flyer und Breakdancer aus alten Zeiten organisiert, doch es kommt kein Gefühl auf, das man selbst als jemand, der nichts mit dieser Generation zu tun hatte, nicht kennen würde. Schade ist auch, dass Félix de Givry nicht wirklich auf sich aufmerksam machen kann. Die Rolle gibt einfach zu wenig her, als dass dies möglich wäre – und dass, obwohl er in nahezu jeder Einstellung zu sehen ist.

Die weiteren Schauspieler ergeben eine Gang, die aus drogenabhängigen Künstlern, Musikern und Halbwissenden besteht und auf hedonistische Art die Pariser House-Szene beflügeln. Dabei entsteht zwar ein Bild, das sich meistens durch Pauls Freundinnen ändert – aber es ist nichtssagend, austauschbar. Zu gern hätte man mehr über die Freundschaften erfahren, die Nebensache unter den Tischen voller Lines und Platten bleiben. Gemeinsam gehen sie wie Abenteurer auf die Underground-Raves; landen bei Sonnenaufgang in Unterwasserbooten. Die Kamera fängt das Geschehen der Natur gerade nachts sehr schön ein. Die Atmosphäre wird jedoch zu oft durchbrochen, als dass sie einen Sog entwickeln könnte. Mia Hansen-Løve kommentiert den Garage-Stil folgendermaßen: „[Die Musik] ist manchmal hart und kalt, dann wieder gefühlvoll und melodisch. Die Stimme, der Gesang und die spirituelle Dimension der Lieder mag ich sehr.“ Wenn „Eden“ diesen Kontrast ausleben würde, hätte er einen begehrenswerten Stellenwert sicher: als erster Film über den French House aus den Neunzigern.

Meinungen

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