„Er ist zurück!“, würde manch einer zu dem neuen Film von Meisterregisseur Tim Burton sagen. Doch wieso von einem Comeback sprechen, wenn man versuchte etwas Geld zu verdienen? Nach dem Riesenerfolg der Literaturadaption „Alice im Wunderland“ und der Vampire-Geschichte „Dark Shadows“ gelingt es Tim Burton sich mit „Frankenweenie“ wieder künstlerisch vollkommen auszuleben und den Disney-Konventionen weitestgehend zu entsagen. Mit seinem Steckenpferd, der Stop-Motion-Technik, offeriert der Amerikaner seinem Publikum ein liebevolles und detailverliebtes Stück Kino, wie man es von ihm gewohnt ist. Selbst wenn man sich rückblickend an die für Burton-Verhältnisse unzufriedenen Arbeiten erinnert, erkennt man dennoch so vieles, was einen Burton-Film ausmacht. Sicherlich verzichtete er explizit darauf, sich der bewährten Außenseiter-Thematik hinzugeben und spielt nicht so sehr mit seinen Inspirationen aus vergangenen Tagen – trotzdem entführte der Ausnahme-Filmemacher sein Publikum immer wieder in fremde Welten voller liebenswürdiger Charaktere und lädt wie kein Zweiter zum Entdecken eben dieser ein.

Wenn du jemanden verlierst, den du liebst, verlässt er dich niemals wirklich. Er bleibt für immer in deinem Herzen. – Ich will ihn nicht nur an einem Platz in meinem Herzen. Ich will, dass er an meiner Seite ist!

Victor Frankenstein ist ein junger und begeisterter Filmemacher, der sich neben seiner Freude am Film auch für die Wissenschaft interessiert. Dieses Interesse trifft im Elternhaus oft auf Unverständnis, weshalb ihn sein Vater dazu animiert an einem Baseball-Spiel teilzunehmen. Mit seinem besten Freund, dem Hund Sparky, der gleichsam seinen treusten Begleiter darstellt, lässt er dies über sich ergehen. Doch als es Victor gelingt einen Ball zu schlagen, reißt sich Sparky los … und rennt in sein Unglück. Doch trauernd und voller Einsamkeit entdeckt Victor eine Möglichkeit seinen Freund wieder zurück zu holen – nicht wissend, dass er damit unvorhergesehene Ereignisse auslöst.

Eine Spielfilmversion seines 1984 erschienen Kurzfilms „Frankenweenie“ versprach nicht wirklich die Voraussetzungen um zu alter Form zurück zu kehren; und auch für Disney wirkte es nicht sonderlich rentabel einen 39 Millionen Dollar teuren Stop-Motion-Film in Schwarzweiß-Inszenierung zu finanzieren. Der letzte Schwarzweiß-Film Burtons war das liebevolle Biopic über den „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“ („Ed Wood“) und gilt bis heute als der größte Flop im Œuvre Burtons. Die Geschichte von „Frankenweenie“ erschien in seinen knapp dreißig Minuten schon ausreichend und fantasievoll erzählt und benötigte offenkundig keine Ausdehnung auf ein Dreifaches. Dennoch ließ es sich Tim Burton nicht nehmen den von James Whales Horror-Klassiker „Frankenstein“ (1931) inspirierten Kurzfilm auf eine abendfüllende Länge zu bringen und mit der grandiosen Stop-Motion-Technik ebenso großartig zu untermalen.

In „Frankenstein“ (1931) war es jedoch kein süßer und treuer Hund, der sein Unwesen in einem amerikanischen Vorort trieb, sondern das furchterregende Monster Frankenstein, das nach und nach immer weiter von der Gesellschaft verachtet und ausgebeutet wurde. Dieser Aspekt findet in Tim Burtons „Frankenweenie“ keine Beachtung: Wie schon in vielen seiner Filme zuvor greift er auf seine Außenseiter-Thematik zurück und zeichnet Victor als typischen Antihelden. Fast über zwei Drittel des Films lässt sich Burton Zeit seinen Charakter Victor in die Geschichte einzuführen und seine Beziehung zu seinem Hund zu erklären. Nach dem tödlichen Unfall Sparkys ist Victor allein und scheint in der tristen Welt des Vorstadtlebens in New Holland einzugehen.

Als es ihm gelingt seinen Hund wiederzubeleben scheint sich Victors Leben wieder zum Guten zu wenden. Doch bald kommen seine Freunde hinter das Geheimnis und erpressen ihn, es im Zuge des Wissenschaftsprojekts der Schule zu verraten. Ganz bewusst lässt Burton hier eine Schwarzweiß-Zeichnung der Charaktere zu, um sich deutlich von der ungehobelten und unfairen Gesellschaft zu distanzieren: Victor symbolisiert das Alter-Ego Burtons – den Außenseiter, den künstlerisch begabten und augenscheinlich einzig intelligenten Menschen, der in der Lage ist selbstständig zu denken. Nur sein Lehrer Mr. Rzykruski entwickelt eigene Gedanken und distanziert sich in einer Rede vor versammelter Mannschaft vom Bürgertum. Als es seinen Freunden gelingt ihre ebenfalls verstorbenen Tiere zum Leben zu erwecken, wissen sie nicht, welche Katastrophe sie heraufbeschwören: Denn anstatt wie bei Victor und Sparky das verstorbene Tier zu reanimieren, verwandeln sich diese in Monster und wollen die Stadt zerstören.

Meine Damen und Herren. Ich denke die Verwirrung rührt daher, dass sie alle sehr ignorant sind. […] Ich meine dumm, primitiv, unaufgeklärt. Sie verstehen Wissenschaft nicht, also haben Sie vor ihr Angst. Wie ein Hund sich vor Donner oder Ballons fürchtet. Für Sie ist Wissenschaft Magie und Hexerei, weil Sie so kleingeistig sind. Ich kann ihre Köpfe nicht vergrößern, aber die Ihrer Kinder – ich kann sie nehmen und öffnen. Das ist, was ich tue, um an ihr Gehirn zu kommen!

Eindrucksvoll gelingt es Tim Burton seine Außenseiter-Thematik mit einem Coming-of-Age-Bild und dem Flair eines Horrorfilms des frühen letzten Jahrhunderts zu kombinieren. Die verträumte Ernsthaftigkeit wird verwoben mit der vor Liebe strotzenden Hingabe zu seinen Charakteren aus „Edward mit den Scherenhänden“ und der lockeren Verspieltheit der Abenteuer aus „Pee-Wees irre Abenteuer“ – und entwickeln schließlich ein Kino-Erlebnis, wie es bei Tim Burton noch nie der Fall war. Seit seinen Essenzwerken „Edward mit den Scherenhänden“ und „Batmans Rückkehr“ ging Burton niemals intensiver auf seine Charaktere ein und bindet sie so geschickt in die Geschichte des Horror- und Coming-of-Age-Films ein. Die vereinzelt auftretende Milieustudie eines amerikanischen Vororts wandelt sich im Laufe des Films zu einem sprichwörtlichen Desaster und verändert das Verständnis seiner Personen um ein Vielfaches. Zu Beginn erfährt Victor Ablehnung, Spott und Hohn, ohne jegliche Zuwendung von außen. Seine Eltern nehmen ihn nur bedingt wahr, halten ihn für einen Außenseiter und konnotieren diesen Umstand als etwas Negatives. Dann aber beginnen sie ihn zu verstehen, halten ihn für einen Helden, gehen mit ihrem Kleingeist voll darauf ein, was er zu sein scheint. Sie feiern ihn und wollen ihm schlussendlich dabei helfen, sein Glück dennoch zu finden.

All dies ist in der großartigen Inszenierung des Films verpackt, der wie kaum ein anderer Animationsfilm voll detaillierter Liebe strotzt. Natürlich ließ es sich Tim Burton nicht nehmen anerkannte Horrorklassiker zu zitieren und sie gleichsam wunderbar in sein Werk einzubinden: Über Hitchcocks „Die Vögel“ bis „Godzilla“ und natürlich „Frankenstein“ findet sich eine Bandbreite von Klassikern der Filmgeschichte. Die technische Ausarbeitung des 3D-Effekts ist zwar unnötig und dient nicht der dramaturgischen Untermalung des Films, ist allerdings zu keiner Zeit behindernd oder nervend, sodass der Film trotz seines unnötigen Effekts eine bisher nie dagewesene Stop-Motion-Erfahrung darstellt, die durch die Schwarzweiß-Bilder untermalt werden. Dadurch entsteht ein Retro-Charme, der die Horror-Atmosphäre unterstreicht.

Dieser zeigt sich auch anderswo: Als das Schildkröten-Monster durch die Stadt läuft, erinnert es an eine alte Version Godzillas; und wenn Mr. Rzykruski spricht und die Mundbewegungen sich abgehakt und wenig stimmig eingliedern, suggeriert dies einen sehr alten und vor allem vergessenen Charme, den der Regisseur sich kunstvoll zu Eigen gemacht hat. Burtons bekannte Darstellung der Charaktere mit ihrem V-förmigen Kopf, langen Armen und Beinen ist einzigartig darin, die Eigenheiten der Charaktere zu untermalen. Was sich schräg anhört, bestimmt aber die Realität: ob den buckeligen Edgar, den fetten Bob oder den eigenartigen Nassor – die Vielfalt, die sich durch die Stereotypen ergibt, ist ein großartiges Unternehmen, um die Einfachheit der dargestellten Gesellschaft zu entlarven.

Tim-Burton-Skeptiker würden dies als ein „Comeback“ bezeichnen. Doch eigentlich ist es nur eine Steigerung seines sowieso einzigartigen Gesamtwerks. Sicherlich ist der Film besser als „Dark Shadows“ oder gar „Alice im Wunderland“; keinesfalls aber befand sich Tim Burton an einem Karrieretiefpunkt, wie es von einigen zu gerne prognostiziert wird. Überraschend vielseitig demonstriert Burton sein Können, in dem er die schmale Vorlage auf ein Unglaubliches erweitert, eine Fülle von Charakteren einfügt und sie zum Leben erweckt ohne den Eindruck zu machen, sich nur auf seine Protagonisten zu fixieren. Schon lange saß der Autor nicht mehr so glücklich im Kino, und genoss die wunderschönen Bilder des Tim Burton, die in den Klängen von Danny Elfman eine liebevolle und herzerwärmende Geschichte formen.

Meinungen

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