Wie gerne man sich doch immer in den Sommer verlieren will, selbst – oder gerade – wenn man dafür der Verantwortung der erwachsenen Realität entgeht. So gerne erzählt auch Stuart Murdochs „God Help the Girl“ die Geschichte und die Gefühlswelt eines Sommers in Glasgow und Umgebung. Festgehalten wird dies an der Protagonistin Eve (Emily Browning), deren scheinbar unantastbare Persönlichkeit schon anfangs in ein drolliges Bild vom Jugendleben mündet – aufgelöst in direkter und doch wohliger Videoclip-Ästhetik. Nicht von ungefähr erinnert dieser Sonnenschein mit Gesang an Indie-Fantasien vom urbanen Leben, steckt Murdoch doch seit jeher knietief in seiner Belle-&-Sebastian-Combo und huldigt damit dem musikalischen Schwelgen alternativer Romantiker. Es fällt ihm sichtlich leicht, den Stil jener Musikvideos seiner Gruppe einzuarbeiten und das Aufblühen der Alltagsgeschichten als Lyrics zu erwirken.
Schließlich holt Songwriting die Verbindung zum Hörer gerne auch aus dem Banalen hervor. So wird sich auch nicht vor stilistischen Naivitäten geniert, solange Freude und Unbedarftheit im Raum stehen. Wo sieht man sonst, dass sich zwei Brillenträger vor einem Duell respektvoll die Linsen abnehmen, bevor die Ohrfeigen pfeifen? Eve hat solche Ulkigkeiten jedenfalls dringend nötig: Denn hinter der Fassade des Verträumten steht ein Mädchen mit physischen und psychischen Neurosen, eingewiesen in eine therapeutische Klinik und oft von dort flüchtend. Hier legt man ihr nahe, dass man als Grundstein der Lebenspyramide Essen und Trinken braucht, bevor sich darauf Freundschaft, Ideale und auch der Genuss von Musik aufbauen lassen. Eve will in ihrer Sehnsucht nach Leben jedoch geradewegs zu den oberen Schichten greifen, ihre Probleme verstecken und ihren Frust verdrängen. So kommt sie schließlich bei den musikalischen Kickstarters James (Olly Alexander) und Cassie (Hannah Murray) unter und schlägt vor, eine Band zu gründen, durch die Gegend zu tollen und das natürliche Umfeld zu genießen.
So tief umschlossen von der schottischen Provinz mag das ungreifbar klingen, doch im Sonnenschein der geschaffenen Energie glänzt die Fantasie umso mehr. Den Fluss entlang hält man sich für Tom Sawyer, während Bandnamen überlegt werden – beachtlich, wie viele von einst auf Sperma basieren (siehe Pearl Jam und 10cc). Recht unvermeidlich geschieht da auch ein Kuss, gefolgt vom Schlag des Herzens – ob dieses einen Rückschlag erhält, steht auf einem anderen Notenblatt; solange laden sich noch Gemeinsamkeit und Freundschaft zum Tanz ein und baden im Rampenlicht. Doch nicht alles währt für ewig und so müssen sich die Wege zwangsweise ab und an trennen. Für Eve geht da ein Halt verloren, es kommt zum glatten Entzug vom Sommer und vom menschlichen Zusammenhalt. Wie bei allen Gefühlswallungen finden Murdoch und seine Charaktere dafür ebenso eine Veräußerlichung der universellen Empathie in Akkorden, stoßen ihr Mitleid jedoch in keine dramaturgische Quetsche.
Wie im thematisch ähnlichen „We Are the Best!“ flattert man stattdessen genauso leicht und doch beladen von Gedanken durch das Umfeld der Seele; findet im lässigen Schnitt der Wärme wieder zueinander und nicht bloß in Erinnerungen auf Super-8. Man merkt schon: Als Zuschauer wird man es anfangs schwer haben, zu entscheiden, ob der Film in niedlicher Naivität schmusen möchte oder sich in eine Stellung der Eitelkeit begibt. In der Adoleszenz und der Suche nach den individuellen Wünschen steht man aber ebenso oft zwischen derartigen Fronten. Schwärmt man von der Flucht aus dem Alltag, sucht man sich nun mal die nächstbeste Ikone und deren Klamotten im Musikexpress vom örtlichen Kiosk zusammen. Vorbildfunktion und Angehörigkeit lassen sich nun mal nicht vom Wirken des Menschen verleugnen, wie man auch die eigenen Hilferufe nimmer stumm machen kann.
Was in solchen Fällen aber auch immer Geltung hat und hilft, ist die Liebe, ganz profan und gleichzeitig nach Belieben verblümt. Deshalb traut sich Regisseur Murdoch auch diesen freien Fall in die Sinnlichkeit des Sommers und jenes Aufbegehren zur fühlbaren Grenzenlosigkeit. Macht Musik, lest Bücher, singt, grapscht Busen, trefft euch und greift zum Ruder – alles ist gut, solange es lebt und belebt. Jene Jahreszeit dafür mag nur ein paar Monate, Momente oder Textzeilen dauern, doch die kommt immer wieder und klingt nach. Dafür eignen sich diese knapp zwei Stunden an herzlichem Kinosommer ungemein.
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