Gemeinsam in den Urlaub zu fahren, bedeutet für ein Paar die absolute Konfrontation mit dem Partner. Die permanente Nähe erlaubt keine Ruhe – und nur eine Beziehung, die diese Permanenz verträgt, geht ihren Weg unbekümmert weiter. Doch was ist, wenn ein erschütterndes Ereignis die latenten Sorgen wie wild ausbrechen lässt; was ist, wenn die Enttäuschung über ein nicht eintretendes Verhalten in Verzweiflung mündet und nichts mehr so ist, wie es einmal war? Ruben Östlund beschäftigte sich mit diesen Fragen, ausgehend von einer Anekdote von Freunden: Das Paar befand sich im Urlaub in Lateinamerika, als der Ehemann bei einem Schussangriff instinktiv seine Frau verließ, um sich selbst in Schutz zu bringen. Sie blieben beide unversehrt, doch die Ehefrau beklagte im Nachhinein immer wieder das Geschehene.

Östlund transponiert diese Geschichte über ein Schocktrauma in die französischen Alpen, was nicht verwunderlich ist, da die Karriere des Schweden mit Skifilmen begann. Die Schießenden aus der Anekdote werden zu einer Lawine. So sitzt eine schwedische Familie auf der Terrasse einer Skihütte idyllisch beim Mittagessen – eine willkommene Rast nach dem zweiten Vormittag des Skifahrens. Das Essen schmeckt gut und als wäre es reines Entertainment, gibt es noch die Sensation für alle Rastenden: eine kontrollierte Lawinensprengung. Sofort werden die Smartphones gezückt, die restlichen Augen starren auf die Naturgewalt, die langsam, noch immer in Harmonie mit der Idylle, den Hang hinuntergleitet. Auch der Vater besagter Familie, Tomas (Johannes Kuhnke), filmt diese titelgebende „Höhere Gewalt“. Er versichert seiner Frau und den beiden Kindern, dass es absolut ungefährlich sei. Als die Schneemassen jedoch unaufhörlich näher kommen, ist er der Erste, der in Panik die Flucht ergreift. Der „Schutz“ verlässt die „Schwachen“, die Natur ihre Idylle: Die Mutter, Ebba (Lisa Loven Kongsli), klammert sich um ihre Kinder und schreit vergeblich Tomas’ Namen. Nachdem die wirkliche Katastrophe ausgeblieben ist, kehren die Leute auf ihre Plätze, in ihr alltägliches Leben zurück. Östlund lässt die Menschen an ihren Tischen weiteressen, als wäre nichts geschehen, obwohl allen klar ist, dass dies nicht der Wahrheit entspricht.

Es sind die Grenzerfahrungen, die Eis brechen können, die Zerstörung jeglicher Apotheose, der Ausdruck von menschlicher Machtlosigkeit im Angesicht der Natur. Ob es die Wellen eines Tsunamis, die Erschütterungen eines Erdbebens oder die Flammen eines Waldbrandes sind: Sie alle bringen den Menschen in Situationen, in denen er seine Energiereserven vollkommen beanspruchen muss. Dieser adrenalinbedingte Überlebenswille ist manchmal hilfreich, manchmal unnötig. Im Falle der Lawine entsteht die Angst der Menschen durch die unvorhersehbare Größe jener Gewalt und die immer rapider werdende Bedrohung, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Filmisch wurde das hervorragend gelöst, es erinnert an den harmlosen Zug der Brüder Lumière von 1896. Die physische Katastrophe blieb aus, die psychische kommt wie Geröll auf die Beziehung des Paares zu. Die meisten Frauen wollen einen Schutz spendenden Mann, einen Mann, der sie im gefährlichen Augenblick auffängt und ihnen einen sicheren Weg aus der Gefahr weist. Tomas versagt in dieser Hinsicht aufs Ganze, instinktiv und unterbewusst. Die Tatsache, dass er wirklich so gehandelt hatte, will er sich nicht eingestehen, er will seine abstinente „Männlichkeit“ in der Paniksituation nicht eingestehen, zumindest auf keinen Fall zugeben. Ebba fühlt sich unsicher. Ist Tomas noch der richtige Partner, der sie beschützen kann? Außerdem ist sie sauer, weil er es nicht zugeben kann. Erstaunlicherweise, möglicherweise geschlechtsbedingt, ist es ihr mindestens genauso wichtig, dass sie recht behält, wie eine Lösung zu finden, diese Beziehungskrise zu überwinden. Dabei löst sie wellenartige Veränderungen aus, weil sie neuen Bekanntschaften das eigene Los unter die Nase reibt und dominoartig den ersten Stein umwirft.

Es gibt Schlüsselszenen im Leben, wie Vertrauensbrüche, Betrug und Enttäuschungen, die alle wie Kanonenkugeln Löcher in die Festungen von Beziehungen schießen. Es kommt dadurch frische Luft herein, plötzlich denkt Ebba daran, sich genauso zu verhalten wie eine Bekannte aus dem Hotel, ebenfalls Mutter und verheiratet, aber in einer offenen, lüsternen Beziehung lebend, plötzlich wirkt sie wie die Dominante, die dennoch geführt werden will. Deswegen holt Östlund sein Ass aus dem Ärmel: Satire. Die Skandinavier sind für ihren eigenwilligen Humor bekannt, in jeder Härte versteckt sich etwas Makaberes, in jeder Sinnsuche etwas Nihilistisches. Als Ebba durch den Beweis des Videos endlich weiß, dass sie recht hat, sitzt ihr Schock nicht mehr so tief, sie lässt sich an einem unheimlich nebeligen Skitag absichtlich hinfallen, nur um ihren Mann regelrecht die Männlichkeit wiederzuschenken. Doch auch die wunderbare Parallele, welche gegen Ende eintritt, beweist Östlunds Fähigkeit, auf äußerst subtile Art Geschlechterrollen in Szene zu setzen und sie in einem noch größeren Umfang zu belichten. So fahren die Hotelgäste in einem Bus Serpentine für Serpentine hinunter, der Fahrer erweist sich jedoch augenscheinlich als inkompetent, sodass alle Reisenden (bis auf die liberale Mutter) das Fahrzeug verlassen. „Als sie sehen, dass der Bus sicher davonfährt, überkommt sie ein Gefühl kollektiver Scham, die sich schließlich langsam in ein Gefühl der Solidarität verwandelt“, kommentiert der Regisseur die Endszenen selbst.

Östlund hat viel zu sagen, viel mehr, als die genialen Dialoge es versprechen. Es ist ein Film, der wie eine Lawine an Subtilität auf die Ahnungslosen zusteuert. Natürlich wird der Film aber niemals hektisch, weil das wäre selbst für die launischen Kritiker zu einfach. Östlund trifft genau ins Schwarze, jede Figur ist interessant und wichtig, selten sieht man einen so reifen und durchdachten Film, der mit langen Einstellungen das Panorama und die Gedanken bejubelt, um Bild und Inhalt zu kombinieren. Ungewöhnliche Techniken bezaubern zudem, wie der Einsatz von Bildbearbeitungsprogrammen und Kameraeinstellungen, die immer wieder in den satirischen Gewässern baden. Diese bittere, aber dennoch humoristische Umsetzung einer äußerst interessanten Idee wurde zurecht mit dem Jurypreis in der Sektion Un Certain Regard beim diesjährigen Festival de Cannes ausgezeichnet und wird Schweden bei der nächsten Oscar-Verleihung als Kandidat für den Besten fremdsprachigen Film vertreten. Nicht zu verwechseln ist er übrigens mit Lars Henning Jungs gleichnamigen Werk.

Meinungen

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