Eine Kontroverse, zwei Meinungen. Daher besprechen wir Christopher Nolans „Interstellar“ mit Matthew McConaughey gleich doppelt. Die Zweitkritik findet sich hier.

Sind Poltergeister echt? Ist die Liebe eine Zeit und Raum durchbrechende Macht? Ist die Menschheit anhand ihrer Gefühlswelt zu Höherem bestimmt, mindestens zur Rettung ihrer selbst und der Heimaterde? Irrationale und geradezu esoterische Fragen, die den stark eckigen Grundstein des ansonsten auf wissenschaftliche Rationalität fokussierten Rahmen von Interstellar“ bilden. Dieser hierin verbundene Widerspruch ist nur allzu bezeichnend für den Regisseur Christopher Nolan an sich: ein passionierter Technokrat voller Pathos für die Alchemie des Mediums Film. Als Stellvertreter jener Ambition lässt er den Leinwand-Grundsympathen Matthew McConaughey als Ex-NASA-Piloten und Farmer Cooper aufwarten, angelehnt an das gleichzeitig einfache und außergewöhnliche Leben von Neil Armstrong, hier stilisiert als zugänglicher Vorantreiber einer neuen, besseren Ära mit einer verstärkten Rückbesinnung auf den Pioniergeist von einst. Um ihn herum eine Erde in naher Zukunft, geplagt von Dürre und Sandstürmen, offenbar einer Verzerrung der Gravitation geschuldet.

Die Details dazu werden allmählich im Dialog dargelegt, mit einer Präsenz, die dem Verständnis funktional dienlich sein soll, aber teilweise von weit hergeholt auffällt. Der Stein des Anstoßes ist meist die verletzte Ehre Coopers, ob man nun seine Kinder aufgrund minimaler Wertungsdefizite nicht aufs College lassen oder ihre Faszination für die vergangenen Errungenschaften der Weltraumforschung abkanzeln will. Der technische Fortschritt ist in dieser nicht genau datierten Zukunft dem blanken Überleben gewichen und setzt nun mal Staub an. Folglich ist die Sehnsucht nach der rettenden Ekstase bei Cooper Thema Nummer eins, der in seinen inzwischen provinziellen Gegebenheiten nach einer Euphorie drängt, welche die Kastanien-farbene, audiovisuelle Gestaltung bereits früh mit rauschhafter Schwellung in eine Konzentration ummünzt, die auf den Klimax des Abschuss ins All und seiner weitreichend verbundenen Konsequenzen zuschwebt.

Eine Chance dazu ergibt sich mithilfe von Coopers cleverer, doch zugleich abergläubischer Tochter Murph (Mackenzie Foy), welche in ihrem Zimmer einen Geist vermutet, der ihr Koordinaten und Botschaften über umgeschmissene Gegenstände vermittelt; Cooper jedenfalls findet dort im sich merkwürdig trennenden Staub einen Weg in seine ursprüngliche Berufung der Raumfahrt. Da erwartet man ihn schon komischerweise, wie ein Auserwählter wird er behandelt. Jene narrative Zufälligkeit deckt sich mit der geradezu selbstverständlichen Erwartungshaltung höherer Mächte im Angesicht einer neuen Option zum Wohl der Menschheit, einem Wurmloch für interstellare Reisen zu fremden Planeten. Mit jeder Sekunde steigern sich dabei die Philip-Glass-artigen Orgeltöne Hans Zimmers, überfluten das Ambiente mit erhebenden Tiefen und sphärischen Höhen und veräußerlichen das Gefühl der Aufbruchsstimmung zur letzten großen, wie auch immer (un)möglichen Chance.

Das größte Opfer für Cooper ist aber das zwangsläufige Verlassen seiner Familie, was seine Murph als eigentliche Quelle seiner Inspiration am härtesten trifft. Er muss sich von ihr verabschieden, in immer abwegigere Winkel der Dimensionen vordringen, um den Massen des Planeten Glück zu bringen. Doch in seinem Herzen ist er ständig bei ihr, auch wenn sich bei ihr frustrierte Neigungen des kaum verkraftbaren Verlustes entwickeln: Im Endeffekt ist die Verbindung nimmer gebrochen und die Poesie, die sich darum schlingt, mag aus Naivität geboren sein, doch ihre Offenheit lässt familiäre Hoffnung erblühen. Regisseur Nolan setzt sich in dem Sinne kontextuell ebenfalls ans Steuer, hat er diesen Film doch auch seiner eigenen Tochter gewidmet, während er sich in der Öffentlichkeit weitgehend als Retter des Zelluloids profiliert. Zunächst jedoch steigt er mit seiner Crew, inklusive Anne Hathaway als anfänglich leicht sarkastische Astronautin Amelia Brand, recht entspannt und mit eleganter Souveränität in das Arbeitsfeld des Kosmos.

Der Druck wird abgebaut, beinahe jeder findet sich nämlich in der bewährten Methodik seiner selbst wieder. Ein klassischerer Ton wird angegeben, während die verlebte Retro-Optik der bewegenden Technik eisern, zutraulich und ausnahmslos dienlich funktioniert, auch weil teils alteingesessene Experten am Steuer sind. Bei Erstkontakt mit neuen Erfahrungen ist Nervosität kein Unding, doch mit entschiedenem Gewissen steuert man trotzdem durch. Je weiter man allerdings die Distanz zum eigenen Ursprung bemerkt, umso reißender packt im nackten Orbit das Fernweh, der siedende Wille des Gelingens im Sinne der Rückkehr, insbesondere bei derartigen Planeten, auf denen sieben Erdenjahre in knapp einer Stunde vergehen. Da kann man in Melancholie verfallen, schluchzend mit ansehen, wie die Zeit, die Familie und deren Leben an einem vorbeiziehen. Oder man überwindet den Schmerz und arbeitet noch härter an der Mission, selbst wenn sie bizarr-ökologische Unfruchtbarkeiten, wahnsinnigen Verrat, irrsinnigste Motivationen und bittere Dekonstruktionen an sich selbst offenbart.

Um diesen wilden Faktoren Einhalt zu gebieten, bemüht Nolan eine konkrete, aber holprige Erzähltechnik, die mindestens so uneben ist wie der außerirdische Boden, auf dem er sich allmählich mit Atemnot und tickender Uhr herantastet. Er arbeitet sich dabei zu fortwährender, stimmungsvoller Mystik in eine Verzweiflung hinein, die er zudem per Parallelmontage dramaturgisch illustriert, wohl aber noch das mentale Gerüst seiner selbst und jenes seines Protagonisten zusammenzuhalten versucht. Die Auflösung bietet sich schließlich erst mal im brachialen Feuer der Destruktion, aus dem in rationaler Hinsicht nur ein Neuanfang begonnen werden darf, wenn dieser überhaupt noch möglich ist. Doch dann schlägt sie mit Zuversicht zurück, die Euphorie zum Gelingen der Technik, auf narrativer und gestalterischer Ebene, im abwechselnden Gegenschnitt stummer, doch belebend verzahnter Hüllen zum Fliegen gebrachter Maschinen mit engagierten Menschen am Schalthebel.

In diesem Glauben an einen universellen Erfolg wird letztendlich ein Sprung des Vertrauens gewagt, hinein in einen metaphysischen dritten Akt, der sich nur schwer ernsthaft erklären lassen kann und bei seiner Suche nach der totalen Verbundenheit mehr vom Herzen des Kitsches abbeißt, als das rationale Verständnis zulässt. Wenn aber ein Filmemacher bei seinen Werken mit dem Vorwurf mangelnder Rationalität in den letzten Jahren zu hadern hatte, dann Christopher Nolan – siehe „Inception“ und „The Dark Knight Rises“. Drum wundert es nicht, dass er inzwischen an einem Punkt der künstlerischen Verteidigung angekommen zu sein scheint, bei dem er die Vorzüge der alten Technik und deren Präservation in den Vordergrund seines Handwerks legt, sich jedoch selber allmählich von anerkannten Strukturen des filmischen Erzählens frei machen beziehungsweise diese in für ihn passionierte Extreme führen will. Nolan ist nun mal auch noch nicht satt, obwohl er mit seinem Heißhunger nach einer erhellenden Bedeutung mit reichlich Fetzen der Themenetablierung um sich wirft und seinem Stil teilweise eher die Handhabung der Gefühle bestimmen lässt – das essenzielle Herz seiner Passion schleust sich dennoch irgendwie durch das Wurmloch zur Leinwand.

Meinungen

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