Unter einer Schneedecke versteckt sich eine Kleinstadt. Irgendwie gemütlich fühlt es sich hier an. Weihnachtlich, märchenhaft, eigenbrötlerisch – Kleinstadt eben. Sie heißt ihre Besucher willkommen, während ihre Jahrmarktsattraktion erst noch gefunden werden muss. Sie schlummert sachte vor sich hin und wird höchstwahrscheinlich nie erwachen, nie erwachsen. Im Dämmerschlaf abseits der realen Welt scheint sie versunken zu sein, ein unerschütterlicher Dämmerschlaf, der ewig währt, bis ein kräftiger Windstoß jene unterschwelligen Gelüste ihrer buckeligen, drahtigen, spindeldürren Bewohner freilegt, die seit ewiger Zeit in ihnen brodeln. Und doch bestimmt diese Kleinstadt deren Handeln, zeigt ihnen, was sein muss und nicht sein kann. Sympathisch gewährt sie Einlass, aber Wirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg haben ihr ökonomisch schwer zu schaffen gemacht. Eine eskapistische Rundreise quer über den Globus, um sich aus ihrer Lethargie zu befreien und sich als ihr Bürger gleichermaßen frei zu fühlen, ist jetzt nicht mehr möglich. Stattdessen lädt „Ist das Leben nicht schön?“ zur Rundreise durch eine pralle Lebenschronik, durch Missgeschicke, Dusel und Eventualitäten ein.

Frank Capras humanistischer Klassiker erzählt die philanthropische, aber nie allzu verzuckerte Geschichte eines Mannes (James Stewart), dessen Lebensbilanz in roten Zahlen eingefärbt ist, wodurch seine Lebenslinien zwangsläufig zu keinem guten Ergebnis zusammenlaufen – zu einem geplanten Selbstmord. Mit anhaltender Freude an der Freude rettet Capra ihn und teilt ihm mit, dass er sich lieber anschauen möge, wie das Leben ohne seine Geburt ausgesehen hätte. Darauf folgt Außergewöhnliches, es folgt die vom Himmelreich beauftrage Gegenüberstellung der Fürchterlichkeit des falschen Lebens diametral zur vereinnehmenden Schönheit des echten, in der selbst ein kaputter Holzknauf am Treppengeländer unter allen Erfahrungen und Erinnerungen ein Gefühl unumstößlicher Zugehörigkeit sowie purer Freude über die allgemeine Geburt als solches versinnbildlicht. Ein Leben beeinflusst andere, und es wäre fatal, es einfach wegzuwerfen.

Dieser Film ist so gütig und so schillernd in seiner erwärmenden, nachbarschaftlichen Solidarität, dass es gar keine Rolle spielt, ob die Lebenslust davon abhängt, inwiefern man sich reich oder arm fühlt, ob man per Haftbefehl gesucht wird, oder sein Unternehmen erfolgreich an den allgemeingültigen Bilanzen ausgerichtet hat. Freunde zählen, ein Versager ist man nie. Capra verquirlt Ironisches (einen Geldverleih in der Bank), Tragisches und Berührendes (Stewart bricht schluchzend zusammen), das jedoch einer vielschichtigen Auseinandersetzung abgeneigt ist und deshalb einen simplifizierten Gegenentwurf zum gesellschaftlich zerrütteten Zustand der Vor- und Nachkriegsjahre bietet. Universelle Gültigkeit erlangt Capras sanfte Ode an die Gegenwärtigkeit der Existenz dabei vor allem in der Gestalt des finanziell denkenden, von Gier zerfressenen Mr. Potter (Lionel Barrymore), seines Zeichens Kapitalist und Ausbeuter, der eine aggressive Marktwirtschaft vertritt, die es bis in die heute Zeit geschafft hat, sich zu etablieren.

Doch auch diese sozialkritischen Tendenzen sind subtil eingestreut und funktionieren ausschließlich symbolisch, den inneren Kampf eines zum Volkshelden erklärten Mannes zu verdeutlichen, der stets daran gehindert wird, seine empathischen Visionen zu verwirklichen, obwohl sie ihm theoretisch offen stünden. Capra thematisiert Baileys (Stewart) anhaltende Widersprüchlichkeit in kleineren, gleichwohl mehrdeutigen Momenten latenter Wut, Empörung und Verbitterung. Bailey besitzt zwei Seiten, die schnell umschwenken können. In der herrlichen Kuss-Szene mit seiner Frau Mary (Donna Reed) etwa, kippt anfängliche Abweisung schlagartig in etwas, was die Essenz unverminderter Glücksekstase bedeutet: eine Metapher des ambivalenten Lebens. Wenn sich Bailey am Ende für seine gute Seite gar endgültig entscheidet, in seine Kleinstadt stolpert, springt und schreit, dass das Leben unheimlich schön sei, und seine Freunde in Wahrheit seine sämtlichen Zweifel beseitigen, indem sie ihm helfen, dann ist man tatsächlich geneigt zu sagen: Ja, das Leben kann schön sein. Solches Kino sowieso. Zu jeder Jahreszeit.

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