Wer tanzt, soll ein Antichrist sein. Ken Loachs womöglich letztes Werk seines mannigfaltigen Œuvre, „Jimmy’s Hall“, lehrt eben jenen Tadel der Kirche an den Geist eines freien Denkers – aus einer Halle und dem Tanz, dem Wissen, der Liebe, Gemeinschaft und Kultur hinaus in das äußerst erzkonservative kommunistische Irland im Jahre 1932. Dafür packt er den Exilanten Jimmy Gralton (Barry Ward), den damals wohl niemand politischer Aktivist genannt hätte (zumindest der ortsansässige Pfarrer nicht), wendet ihn in Schematisierungen und politischen Allegorien, bis auch das schlicht immer fortwährend grundsolide Konzept eines Ken Loach in Einfalt ertrinkt. Dabei gäbe auch dieser Film wie der zehn Jahre zuvor angesiedelte (und nach einem traditionellen irischen Volkslied betitelte) „The Wind That Shakes the Barley“ (2006) Anlass, Grenzen ungestüm zu brechen und mittels der ihnen innewohnenden Emotion eine Geschichte zu erzählen. Eine, die relevante Dramatik schafft. Als Gralton nach vielen Jahren in den Vereinigten Staaten wieder nach Irland zurückkehrt, siedelt nicht nur der Mann über, sondern auch die Musik und der dazugehörige Tanz. Aber Charleston und Shim Sham taugen nicht für die prototypischen Werte im Townland Effrinagh. Obwohl Pfarrer Sheridan (Jim Norton) sein Grammofon und Loach seine Routine innig liebt.
Dennoch: Einen Ken Loach benötigt das zeitgenössische Kino (leider noch) immerzu. Auf das wir tanzen, wir schwelgen, wir politischer Barbarei nicht verfallen. Und manchmal sogar simple Dialektik hinnehmen, weil es an einer prägnanteren Alternative mangelt, Thematiken immer wieder im Sturm aufzuschnüren. Auch „Jimmy’s Hall“ wiegt die Sozialromantik schwer, schwerer aber, als er sie schultern und nutzen könnte, statt an ihren Plattitüden zu scheitern. Einmal fragt der Kleriker der Grafschaft Leitrim nach der Wahl, welche die Menschen treffen sollten: die Wahl für Christus oder die Wahl für Gralton. Später nimmt er ihnen die Wahl ab, indem Gralton als illegaler Einwanderer des Landes und seiner Heimat lebenslang verwiesen wird. Dieser Jimmy Gralton baute einen Saal wieder auf, der die Menschen mehr verband als die Kirche. Ken Loach folgt dagegen einer anderen Strategie, weil hinter offensichtlichen Gefühlen nichts verborgen liegt, dass mehr entdeckt werden möchte. Er öffnet den Sack zu weit für persönliches, ehrliches Interesse.
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