Es gab eine Zeit, in der wurde ein waschechter Skandaltitel erst richtig geadelt durch den Aufschrei selbst ernannter Sittenwächter und Vorführverbote. Die Ächtung durch die katholische Filmkritik oder die Existenz als erklärtes Lieblingsziel schnippelfreudiger Zensurbehörden verliehen einem sonst wenig beachtenswerten Streifen plötzlich Kultcharakter. Oder einfach nur die Aura des Verbotenen und des Unanständigen. „La Bête – Die Bestie“ von Walerian Borowczyk genießt bis zum heutigen Tag einen derartigen Ruf. Ein Film, der gefeiert, zensiert und stellenweise aus dem Verkehr gezogen werden sollte. Ein Film, der sich derlei Eingriffen zum Erhalt der moralischen Integrität unserer Gesellschaft dennoch entzog, wie auch dem Versuch richtig klassifiziert zu werden. Ist diese höchst sexuell aufgeladene Vision von der Schönen, die es mit dem Biest macht, nun Kult, der die Grenzen zwischen erotischer Kunst und Pornografie auslotet? Handelt es sich hier um einen schamlosen Tabubruch und eine cineastische Obszönität, die sich zwischen Avantgarde und Trash nicht entscheiden kann?

Immerhin besteht schon der Eröffnungsmoment von „La Bête“ aus der Besamung einer Stute durch einen sichtbar erigierten Hengst. Aber jetzt bitte nicht gleich Panik schieben. Regisseur Borowczyk genoss in den goldenen siebziger Jahren weniger den Ruf eines wollüstigen Provokateurs, als vielmehr den eines echten Meisters erhabener Bildsprache und ästhetischer Fantasien der Sinnlichkeit. Auch der zügellos ausufernde Höhepunkt des Films bildet da keine Ausnahme. Der Moment, in dem sich die Wege einer adeligen jungen Dame des 18. Jahrhunderts mit dem einer behaarten Bestie im Wald kreuzen. Was folgt, lässt sich jugendfrei nur als Rotkäppchen, das vom ausgehungerten Wolf bestiegen wird, beschreiben. Und wirkt gleichwohl immer noch verdorben. Hier blitzt nicht nur kurz ein blanker Busen auf oder geben gespreizte Schenkel den Blick frei. „La Bête“ präsentiert diese sündige Begegnung als schier endlosen, kräftezehrenden Akt. Die Bestie überfällt das unschuldige Mädchen, sie gibt sich dem Wesen schließlich hin und melkt es sprichwörtlich zu Tode.

Sicherlich mag es verwirren, bereits an dieser Stelle den Höhepunkt und Hauptblickfänger von „La Bête“ zu betrachten. Aber genau diese sodomistische Fantasie ist es, welche den Wirkungsgrad des Films ausmacht. Einerseits märchenhaft, dann wieder überzogen in seiner Zurschaustellung versprühter Körpersäfte. Und doch verpasst Walerian Borowczyk dem Geschehen eine eher komische Note. Da animiert das Antlitz der Bestie schon zum Schmunzeln, weil das Aussehen auch von Jim Henson und seinem Muppet Workshop stammen könnte. Während wiederum das lange, ausfahrbare und natürlich künstlich anmutende Geschlechtsteil ein leichtes Gefühl von Fremdscham hervorruft.

Was auch immer das nun sei, widerwärtiger Schmuddelfilm oder herausfordernde anzügliche Poesie, es steht im krassen Gegensatz zum Rest von „La Bête“. Ursprünglich als Bestandteil seiner Anthologie „Unmoralische Geschichten“ konzipiert, machte Borowczyk das Segment zur Grundlage eines eigenständigen Spielfilms. Einer, der sich vor allem als humoristisches Possenspiel präsentiert. Die animalischen Triebe und Ausschweifungen treten in den Hintergrund. Stattdessen dreht sich alles nun in der Gegenwart der siebziger Jahre um die bevorstehende Verheiratung der Unternehmenserbin Lucy Broadhurst (Lisbeth Hummel) mit dem Sohn des Marquis de l‘Esperance (Guy Tréjan). Eine Verbindung, die vor allem Letzteren eine dringend benötige Renovierung des eigenen Kontostands ermöglich soll. Aber auch die dunklen Vorzeichen über dem maroden Besitz und dem Namen der Familie vertreiben soll. Um diesen ranken sich böse Legenden, seit dereinst Vorfahrin Romilda, im Höhepunkt des Films, von einer Bestie angefallen wurde.

Es ist vor allem der zweifelhafte Ruf der Familie und testamentarische Instruktionen, aus denen Borowczyk eine schwarze Komödie entspinnt. Ein teils fragwürdiges Treiben von Figuren, von denen die meisten gleich mehrere Gebote gebrochen haben. Mord, Erpressung und Fleischeslust, wer könnte zu niederen Instinkten als Gagfutter denn Nein sagen? „La Bête“ schafft es, dass wir über das Unmögliche beinahe lachen können. Ob nun der Marquis seinen an den Rollstuhl gebundenen Onkel malträtiert, damit der seinen Bruder, den Kardinal in Rom, anruft. Sei es das stets unterbrochene Liebesspiel des Hausdieners mit der Tochter des Marquis. Oder der Bräutigam in spe, dessen Verhalten irgendwo zwischen Dorfdepp und Marionette liegt. Und wie es sich für ein Lustspiel der böseren Sorte gehört, komplettiert der ansässige Priester mit seiner unangebrachten Nähe zu seinen mitgebrachten Chorknaben, das Ensemble.

Bitte nicht falsch verstehen: „La Bête“ ist durchaus in eine Sparte zwischen Fantasy, Horror und Erotik anzusiedeln. Am meisten unterhält der Film aber dennoch durch sein Gespür für Situationskomik. Zwischen seinen Späßchen mit Beischlaf, kirchlichen Zwängen und anderen verwerflichen Handlungen, ist das beste Lachen schon jenes, das im Hals stecken bleibt. Wer bisher dachte, früher hätten viel nacktes Fleisch, Ströme von Blut und Anzüglichkeiten mit Glaubenssymbolen und Kirchenleuten den Gehalt eines Skandalfilms diktiert, wird sich bestärkt wie auch vor den Kopf gestoßen fühlen. Denn „La Bête“ ist vielleicht nicht die einzige Aufbereitung einer animalischen Annäherung zwischen Frau und Monster, dennoch besitzt das Werk von Regisseur Walerian Borowczyk eine ganz eigene Strahlkraft. Scheint es doch mal direkt aus einer klassischen Märchenverfilmung entnommen, dann wieder amüsiert es als kleine Groteske in äußerlich wie innerlich zerfallenem Adelshaus.

Die Sprengkraft von einst hat „La Bête“ dabei natürlich schon etwas eingebüßt. So anstößig wie verstörend werden auch die grafischsten Aufnahmen heutzutage wohl niemanden mehr erscheinen. In diesen Tagen erscheint der Film dank Bildstörung hierzulande das erste Mal auf Blu-ray. Mittlerweile ganz ungekürzt kann sich nun jeder selbst ein Bild von diesem Film machen, der ebenso verehrt wie einst auch verschrien war. Nicht nur die Übersiedlung ins High-Definition-Format ist dabei durchweg gelungen, auch die deutsche und französische Tonspur von „La Bête“ überzeugen, selbst wenn sie lediglich in LPCM Mono vorliegen. Als Bonus liegt der Vorfilm „L’Escargot de Vénus“ bei, eine fünfminütige Dokumentation der Arbeiten der Künstlerin Bona de Mandiargues, deren eigenwilliger Charakter sich nahtlos dem von „La Bête“ fügt. Damit bietet sich jedem Zuschauer, ob ihm oder ihr, die ideale Gelegenheit, sich selbst eine Meinung zu dieser Erfahrung zwischen Amüsement und Grenzvorstoß zu machen. Und sich ein Stück weit auch in die Gedankenwelt der zur Entstehungszeit von „La Bête“ herrschenden, enger gesteckten Vorstellungen über Anstand und Moral zurück zu versetzen. Dieses Gedankenspiel ist selbstredend verstörender als alles im Film gezeigte.

Meinungen

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