Als geneigter Cineast nimmt man es ja beinahe nicht mehr direkt wahr, aber der Tod ist ein omnipräsentes Thema, sobald man sich der Filmwelt zuwendet. Gestorben und getötet wird heutzutage auf der Leinwand nahezu überall – oft gar im Minutentakt. Doch gilt der Tod im echten Leben oftmals als eine wirkliche Tragödie und regt allgemein zu philosophischen und existenziellen Gedankenspielereien ein, so stellt er doch in überraschend vielen Filmen nur eine Beiläufigkeit dar. Dass es ganz anders geht und das Ableben zu einem zentralen Thema und Ausgangspunkt einer Geschichte gemacht wird, zeigt der irische Regisseur Brendan Muldowney mit seinem kleinen Indie-Juwel „Love Eternal“. Dabei kann er der Thematik neben allerhand Schwermut, Melancholie und einem Hauch Düsterkeit sogar noch etwas (Galgen-)Humor abgewinnen.

Schon sehr früh wird der kleine Ian (Robert De Hoog) mit dem Tod seines Vaters konfrontiert. Beim Herumtollen im Freien erleidet dieser plötzlich ein Herzversagen – der schockierte Ian bleibt alleine mit seiner Mutter zurück. Doch es sollte nicht seine letzte nahe Begegnung mit Sterbenden bleiben. Während seiner Jugend entdeckt er eine Schulkameradin im Wald – an einem Strick aufgehängt. Als mehrere Jahre später schlussendlich auch noch seine Mutter stirbt, sieht Ian endgültig keinen Sinn mehr und beschließt sich selbst auch das Leben zu nehmen. Ohnehin hatte er schon Ewigkeiten quasi in Einsamkeit gelebt – andauernd eingeschlossen in seinem Zimmer mit dem Internet als einzigen Draht zur Außenwelt. In Freitod-Foren schmökernd, mit abertausenden Onlinefreunden vernetzt. Sein lange geplanter und herbeigesehnter Suizid wird jedoch von – wie soll es auch anders sein – einer Gruppe Lebensmüder gestört. Tief im Wald bringen sich diese in einem Van gemeinsam um und werden währenddessen von dem perplexen Ian beobachtet. Dieser ist aufgrund seiner Vorgeschichte so sehr von dem Anblick der leblosen Körper und der schieren Stille fasziniert, dass er beschließt, eine der Toten aus dem Wagen zu ziehen und sie mit nach Hause zu nehmen. Dort lebt er fortan mit ihr zusammen, wäscht sie, kocht für sie, redet mit ihr und teilt gar mit ihr das Bett. Nach einer Weile wird er auch dieser Lebensweise überdrüssig und sucht sich Suizid-Partnerinnen, mit denen er gemeinsam sein Leben beenden kann.

Mag die Inhaltsangabe in Teilen nach einem schweren, tragischen Stoff mit abstoßenden Nekrophilie-Versatzstücken klingen, so entpuppt sich „Love Eternal“ recht schnell zu einer unkonventionellen und launigen Studie über die Obsession mit dem Tod und das mühsame Bestehen eines Einzelgängers. Wenig überraschend handelt es sich bei diesem Film um eine Adaption eines japanischen Romans: Muldowneys Werk basiert auf dem literarischen Vorbild „Loving the Dead“ von Kei Ôishi und transportiert die Handlung in das grüne und wunderschön fotografierte Irland. Untermalt von schwelgerischen Ambient-Klängen folgt er Ian durch dessen ungewöhnlichen Alltag, den dieser nahezu stumm und mit weitestgehend regloser Miene verbringt – die Lebenslust ist ihm nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Hauptdarsteller Robert de Hoog schafft es mit wenigen Mitteln, Sympathien für seine Figur zu wecken und scheint sichtlich in seiner Rolle als emotionslos dreinblickender Einzelgänger aufzugehen.

Muldowney geht es in seinem Film nie darum, irgendwelche Perversionen zur Schau zu stellen oder seinen Protagonisten reißerisch als Freak zu entblößen. Vielmehr wird der Zuschauer hier Zeuge einer leisen und zuweilen gar zärtlichen Beobachtung eines Menschen, der seine Todesfaszination auslebt. Es ist spannend zu sehen, wie es dem Regisseur und seiner Crew gerade zu Beginn problemlos gelingt, dieses doch recht heikle Thema fast spielerisch zu beleuchten – inklusive unverkennbarer Indie-Stilistik. Der Ire schafft es durch interessante Kontraste, seinem Film zusätzlichen Reiz zu verleihen: So stehen seine lebensmüden Figuren im krassen Gegensatz zu den oftmals kraftvollen Bildern der blühenden Flora Irlands. Gepaart mit ruhigen Kamerafahrten und Schnitten baut „Love Eternal“ von Anfang an eine wundervolle Sogwirkung auf. Durchbrochen wird diese teilweise hypnotische Melancholie durch einige thematisch bedingte Schwarzhumorigkeiten aber auch erheiternd-fröhliche Momente: Als Ian sich entschließt, gemeinsam mit seiner Online-Bekanntschaft Tina (Amanda Ryan) in den Wald zu fahren und sich dort umzubringen, läuft im Autoradio „Walking on Sunshine“ während sie sich ihren Weg durch grasgrüne Alleen bahnen. Sichtlich erfreut beginnt Tina mitzusingen und plötzlich weht ein Hauch Roadmovie-Charme über die Leinwand – nur dass das Ziel der Reise ungleich weniger erfreulich ausfällt als in den meisten anderen Filmen dieser Art, obgleich es Ian selbst erneut misslingt, das Zeitliche zu segnen. Es ist gerade die Figur der Tina, die einen spannenden, erstaunlich lebhaften und gar nicht suizidal erscheinenden Gegenpol zu dem wortkargen Ian darstellt.

Die Qualität des Films beginnt jedoch etwas zu kippen, sobald mit Naomi (Pollyanna McIntosh) eine Figur die Leinwand betritt, die auf Ian eine ungebrochene Anziehung ausübt  – und das, obwohl sie trotz allerhand Verzweiflung noch lebendig ist. Leider entwickelt sich „Love Eternal“ dabei etwas zu sehr in Richtung einer konventionellen Geschichte zweier sich annähernder Personen. An der Seite der gestandenen, vom Leben gezeichneten Naomi beginnt Ian, zu lachen und letztendlich auch zu fühlen. Zwar fungiert dieser Teilabschnitt als wirkungsvoller Kontrast und als hoffnungsvolle Entwicklungsphase für die Hauptfigur, jedoch bewegt sich Muldowney hier in etwas zu alteingesessenen Pfaden, die die Einzigartigkeit des restlichen Geschehens etwas vermissen lassen. Zudem gelingt es den beiden Darstellern nicht immer überzeugend, eine fesselnde Chemie auf dem Schirm zu etablieren. Das ist wahrlich weit entfernt von schlecht und entbehrt im Endeffekt auch nicht einer gewissen Gratifikation für den vom Unglück geplagten Ian; einen Tick mehr Mut, den anfangs eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, hätte man sich dann aber doch gewünscht. Auch wenn die Spannung auf den Ausgang durchaus bis zum Finale bestehen bleibt, trübt dieses halb gare Intermezzo den Gesamteindruck dann doch etwas.

Nichtsdestotrotz bleibt am Ende aber überwiegend positiv festzuhalten, dass Brendan Muldwoney hier wirklich ein beachtlicher Film gelungen ist. Der audiovisuelle Stil von „Love Eternal“ ist stimmig und seine Tonart bei dieser schwierigen, sehr interessanten Thematik gefällt insbesondere zu Beginn enorm. Zwar schleichen sich mit der Zeit ein paar Ungereimtheiten und Zugeständnisse an die Harmonie ein, die dieses erfrischende Kleinod um den Status des absoluten Geheimtipps bringen, doch seine offensichtlichen Qualitäten überwiegen im Endeffekt deutlich und machen ihn definitiv sehenswert.

Meinungen

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