Einmal züngeln, bitte. Erst im Gesicht, über die Augen, wie aus Versehen die Lippen entlang. Dann Zunge an Zunge. Ein Kuss. Chakra. Öle. Die Frage, ob er denn nun einen Fleisch- oder Blutpenis habe. In einer Gefrierkammer die Leib gewordene Antwort: nackt, eiskalt vakuumierte Steaks über Nippel, Schritt und Schwanz gepresst. „Love Steaks“ ganz sinnbildlich. Er ist Clemens, sie ist Lara. Er Masseur, sie Köchin. Die offizielle Log Line fügt an: „Ein junges Paar auf’s Maul.“ Ganz recht auf’s Maul illustriert Regisseur Jakob Lass dann ebenso seinen Zweitling nach „Frontalwatte“ mit Fleisch und Liebe. Dass will zunächst ordentlich durchgekaut werden, aber schmeckt dennoch postwendend. Doch „Love Steaks“ ist trotz der Improvisation manchmal schlicht fürchterlich roh – all das Zufällige tritt in schöner Regelmäßigkeit zutage, aber niemals determiniert aus narrativen Bausteinen oder gar einer überdimensionalen Ordnung. Jakob Lass nennt das Spiel ohne Regeln und zwanghafter Konstruktion FOGMA. Denn: „Das einzige Dogma ist FOGMA.“ Konsequenz, Toleranz, Pflicht, Freiheit, Leben. Ein Skelett, das es zu füllen gilt.
Da wippen dann auch mal Ananas im Kofferraum eines Wagens; die Blätterkronen im Beat mit dröhnendem Rock oder vielleicht schon Metal. Pulsierend, brachial, sanft. Alles zugleich, alles inklusive. Scheitern inbegriffen. Lara (mit saftig Bums: Lana Cooper) sitzt am Steuer, eine Maske mit Totenkopf über die Haare geschoben. Sie hat’s mit Fleisch und auch mit Alkohol. Später hat sie’s auch mit Clemens (Franz Rogowski), der ein bisschen zu spät seinen Dienst im Kurhaus antritt, aber niemals wirklich ankommt. Auf’s Maul bekommen sie beide. Ständig. So richtig kümmert es jedoch keinen von ihnen. Irgendwie mag es schon die erste Verbundenheit sein. Sie: stoisch, maskulin, provozierend, Anarchie pur. Er: kleinlaut, nuschelnd, trainiert, doch nie in seinen Körper gewachsen. Licht kommt wie Licht eben kommt. Maskenbild ist nicht. Ein Take ist ein Take. Und einer genügt. Also das Leben im reinsten, beinahe dokumentarischen Sinne. Auch das bedeutet FOGMA; aber nicht nur. FOGMA heißt auch: „Klarer Anfang, klares Ende.“ Ein Plan in Blöcken und ein Block nach Plan. Der Mikrokosmos Film fügt sich in den Mikrokosmos Alltag. Der Mikrokosmos Alltag in den Mikrokosmos Film. Jakob Lass öffnet sich und sein Werk, indem er sich in Riten eingliedert.
Am Strand jedoch, nicht allzu weit entfernt von dem Wohn- und Arbeitsraum Kurhaus, doch genug, um Entfernung spüren zu können und spüren zu wollen, brennt nicht nur ein Boot, das Clemens und Lara als das ihre tauften – ihre Liebe brennt. „Love Steaks“ wäre allerdings nicht „Love Steaks“, wenn Liebe ein bloßer, ein infantiler und abtrünniger Gedanke bliebe, den man leichthin in das Konzept Hollywood oder süßliche Nicholas-Sparks-Propaganda prügeln könnte. Dabei prügelt Lass durchaus. Aber es ist mehr ein Prügeln außerhalb eines Gusses, künstlich und gleichzeitig rein. Die Liebe ist hier ebenso Ausdruck eines Aneinander-vorbei-Seins, des Findens und Stoßens, der Aktion und Reaktion; die Liebe als Absurdität, wie sie in einem gestellten Winkel, so wie der Film sie gemeinhin konstruiert, eigentlich selten existiert. „Love Steaks“ aber ist Liebe: innerhalb des Konzept, außerhalb des Konzepts. Ein Wasserbad, erhitzt, erkühlt. Das Soufflé erkennt man nicht sogleich, dessen Höhe aber schießt dann plötzlich aus der Form heraus. „Love Steaks“ spielt mit dem Ungewissen und der frischen Engstirnigkeit seiner Idee. Dabei steht dennoch niemals die Idee allein im Fokus. Das Experiment? Ja. Der Neuanfang? Ja. Ein formalistischer Zwang aber? Auf’s Maul!
Der Lebensentwurf Laras und der Lebensentwurf Clemens’ erobert alsbald den Entwurf FOGMA und der Entwurf bleibt kein Entwurf mehr. Diese als FOGMA #1 bezifferte Skizze (FOGMA #2 befindet sich bereits in Planung) scheut sich weder vor der Überproduktion des deutschen noch amerikanischen (Independent-)Films, er scheut sich nicht vor einem Vergleich noch einer Überhöhung, die entstehen wird und vielleicht sogar schon entstanden ist, als „Love Steaks“ im vergangenen Sommer den Förderpreis Neues Deutsches Kino beim Filmfest München blank putzte und erstmals alle vier Kategorien (Regie, Produktion, Drehbuch, Schauspiel) in seine jüngst eröffnete Vitrine stellte. „Love Steaks“ kapselt sich wohlfeil von einer Routine ab – so sehr, dass er sie gen Ende bedient und dann nochmals brechen muss. Der Bruch schließlich ist nochmals ein Fuck you gegen die Konventionen und all das Notwendige, was heutzutage nicht mehr umgangen werden möchte, wenn man denn Ruhm und Ehre bevorzugt. Jakob Lass scheint’s nicht zu kümmern. Seine Filme poltern aus dem rumpelnden Bauch und lechzen nach Genuss.
„Love Steaks“ ist aber auch: Slow Food; delikat, zart, paniert, aber niemals ausgebacken. Antideutscher Punk, wenn man so will. Oder auch deutscher Film auf’s Maul. Herzlich an jeder penetrant geforderten deutschen Förderkultur vorbeigeschmuggelt. Mit Beef selbst für Vegetarier!
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Love Steaks“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.