Angemessen anziehen, nicht mit den Haaren spielen, schnaufen verboten. Für das gute Image muss man sich immer ein Stück maßregeln lassen, selbst wenn dadurch zwangsläufig persönliche Neurosen unterdrückt werden. In Steven Shainbergs „Secretary“ geschieht dies aber nicht nur auf freiwilliger Basis, mehr noch wird damit sogar zur Lusterfüllung einer ganz persönlichen Neurose angesetzt. Anhand der Perspektive von Protagonistin Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) kehrt der Film nämlich ins innere Gefüge des Masochismus ein. Jene auf Devotion und Schmerzen basierende Neigung zur Befriedigung braucht dabei keinen extensiven Ursprung, hier reicht eine Handvoll effektiver Eindrücke zur schnellen Nachvollziehbarkeit: ein dysfunktionales Elternhaus, eine frisch vermählte Schwester mit dem suburbanen Glück in der Visage, die durchgehende Selbstverständlichkeit des Konventionellen.

Lee kann sich da nur zur Flucht ins vollends pinke und doch finstere Kinderzimmer verkriechen und zur Selbstverstümmelung ansetzen. Doch ihr Leiden aus eigenem Antrieb führt nur zur weiteren Ernüchterung; in Isolation und Zurückhaltung bleibt es nun mal ein Tabu. Ein unterstützender Gegenpart ist die Lösung, welche sich in ihrem neuen Beruf als Sekretärin in der Anwaltskanzlei von E. Edward Grey (James Spader) äußert. Angelo Badalamentis Score veräußerlicht mit erwartungsvoller Sinnlichkeit Lees Faszination und reizvolle Furcht, sobald sich der Advokat Stück für Stück als Gleichgesinnter im Sinne der Dominanz entpuppt; sich aber ebenso schüchtern hält. Er scheiterte nämlich bei engen Verbindungen, wie sie sich zunehmend von der Beziehung zum sympathischen, doch kaum befriedigenden Normalo Peter (Jeremy Davies) distanziert.

So knistert also eher die Chemie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin – immerhin ist das Ambiente für eine Kanzlei gar nicht mal so kalt und eher in ein warmes herbstliches Rot obskurer Dekorationen getaucht. Die Verbindung wird aber nur ganz zart und spielerisch, wie bei den Pflanzen in Greys Büro, zum Erblühen in liebevoller Härte gebracht. „Secretary“ ist also allein von seinem Spannungsaufbau her mehr als nur bloße Unterwerfungsfantasie. Jene besitzt meist exploitativen Charakter und würde schnell und explizit zur Sache kommen. In diesem Fall jedoch wird die Erotik vor Anspannung nur in Portionen ausgeteilt und muss sich regelrecht zusammenkneifen, ehe die Hose zu platzen droht. Dafür reichen schon heiße verstohlene Blicke und das Spiel mit dem Gleichgewicht der Macht, dem sich Lee und Grey in der intensiven und doch schwelgerischen Strenge der Inszenierung hingeben.

Lee fühlt sich so oder so als Nutznießer deutlich erfüllt, da der Chef ihr einige ungesunde Eigenarten mit sofortiger Wirkung verbietet und dafür neue Regeln einsetzt. Sie lässt sich voll glückseliger Sehnsucht darauf ein, selbst wenn es um die Erlaubnis zum Essen geht: vier Erbsen, kein Steak, ein bisschen Kartoffelbrei, doch so viel Eiscreme, wie sie möchte. Für Masochisten ein traumhaftes Szenario, welches vom Film aber nicht als Perversität oder Abnormalität gewertet wird, sondern schlicht als verwirklichte Liebesgeschichte. Die Erwartungen werden zwar entgegen dem Gewohnten umgekehrt, die Inszenierung erzählt aber durchweg mit der Selbstverständlichkeit seines charakterlichen Zentrums. So wird der Wendepunkt zum dritten Akt hin auch derartig erfrischend umgemünzt, dass ausgerechnet Grey Lees Abhängigkeit von ihm nach der unausweichlichen ersten Eskalation und Ejakulation nicht weiter mit seinem Gewissen vereinbaren kann und sie fort schickt.

Lee gibt aber nicht auf und kämpft für ihr Recht auf das individuelle Glück des Unterwerfens, selbst wenn sie sich dafür ultimativ von allen abkapselt und des Prinzips halber mit entblößender Willensstärke die komplette Passion vollzieht. Eine Feministin im Film rät ihr angesichts ihrer Entscheidung (Selbstdemütigung als Liebesbeweis), sich noch mal etwas näher damit zu befassen, was die Historie der unterdrückten Frau angeht. Als Zuschauer begreifen wir allerdings am ehesten, dass sie damit schlicht ihre Selbstbestimmung verfolgt. So findet sich die Katharsis letzten Endes nicht bloß im Schmerz oder in der Masturbation zur Erwartung dessen, sondern in der Einigkeit der Liebe, mag sie noch so unkonventionell sein. Letztere Eigenschaft mag man aber irgendwann ohnehin nicht mehr empfinden, so reizvoll und natürlich Regisseur Shainberg die individuelle Erotik in die grundsätzliche Gefühlswelt einordnet und die Lust an der Bestrafung vermittelt, ohne der plumpen Pornografie zu verfallen oder gar Gewalt an Frauen legitimieren. Liebe ist einvernehmlich und vielfältig, kann also weich, hart sowie alles andere sein. Das ist doch mal konsequent und ohnehin entschieden sexy – bitte mehr davon!

Meinungen

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