Der Alltag ist eine Anordnung identischer Routinen. Auch im Film. Doch Lynn Zapatek (Vicky Krieps) unterwirft sich ihnen mit stoischer Freude, Resistenz und Impertinenz; schaut nicht nach rechts, schaut nicht nach links. So ruft sie ihre Mutter aus der Telefonzelle und grundsätzlich um zehn vor acht an, reinigt penibel ihre Wohnung, während Filme von Jacques Tati auf ihrem Computer laufen und … schläft unter den Betten fremder Menschen auf dem Teppichboden. Kein Problem, da sie in einem Hotel als Zimmermädchen arbeitet. Immerhin schaut sie auch bei ihrem Vorgesetzten ohne Nachfrage vorbei, obwohl die Beziehung zu diesem auf dem Sprung zu sein scheint. Für einen Blowjob aber reicht’s. Lynn verzieht ohnehin keine Miene. Außer jeden Mittwoch. Da schleicht sie sich in den Bau ihrer Träume unters Bett mit Handtuch, Brotzeitbox und Sudoku-Heft. Und wartet. Bis ein Gast sein Zimmer aufsucht, aus seinen Schuhen und in die Dusche schlüpft, mit seiner Frau telefoniert, Ego-Shooter spielt oder dem frivolen Treiben mit einer Prostituierten frönt. Während alledem lungert Lynn unter der eigentlichen Aktion – aber sie fühlt sich, als würde sie ein Leben sehen, das ihr selbst unbehaglich nah scheint. Was vielleicht an ihrer Zwangsneurose liegen mag, wer weiß das seit Woody Allen schon genau.
Für diese Lynn aber ist ein Platz in dieser und in Ingo Haebs Welt, die sich der Süße Pascale Ferrans bis zur sehnsüchtigen Erfüllung in sadomasochistischen Praktiken à la Steven Shainberg verschwört, obwohl sie leidlich zur Identifikation taugt. Mit welcher zurückgenommenen Disziplin der Regisseur seinen dritten Spielfilm „Das Zimmermädchen Lynn“ ausstaffiert, ist ebenso rührselig wie grotesk: Da laufen Szenen nach skandinavischem Vorbild – insbesondere im Stile Roy Anderssons – gerne mehrere Sekunden zu lang und stürzen sich in Artifizialität, während andere wie Blaupausen eines Drehbuchs wirken, welches sich von seinen Wurzeln lange entfernt hat. Denn jede Erklärung, jedes Fünkchen eines normierten Ursprungs für Lynns psychotischen Putz- und Voyeurismusfimmel widersteht Haeb, von Markus Orths’ Roman „Das Zimmermädchen“ zu adaptieren. Dafür läuft sein Film jedoch in einem wunderbaren Farbenspiel zusammen, ohne sich der Fallstricke vieler deutscher Filme zu ermächtigen, die gleichwohl Protagonistinnen außer Rand und Band zeigen. Denn wenn „Das Zimmermädchen Lynn“ eines nicht ist, dann ein überaus deutscher Film. Stattdessen passieren Dinge, die im filmischen Sinne eigentlich nicht passieren – und es passieren Dinge nicht, die im filmischen Sinne eigentlich immerzu passieren. Irgendwo dazwischen putzt sich Haeb heraus: mit einer liebevoll drapierten Geschichte über eine Frau, die nicht ganz knusper ist. Und den Verzweifelten und Deprimierten genau deswegen nahesteht.
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