Asia Argento übt sich mit „Missverstanden“ darin, mutmaßlich basierend auf eigenen Erfahrungen, das problematische Aufwachsen innerhalb einer Künstlerfamilie in einer sehr konkreten Form zu porträtieren. Anhand ihrer jungen Protagonistin Aria (Giulia Salerno) zeigt sich ein rasantes Wechselspiel von Vernachlässigung, Zuneigung, Wut und Liebe, stets mit unverhältnismäßiger Eskalation oder auch Ruhe ablaufend. Jene Gefühle, die auf sie vor allem vonseiten der Eltern einbrechen, kommen und gehen unvermittelt aufgrund des gänzlich fehlenden Taktgefühls der selbstsüchtigen Erziehungsberechtigten. Die Mutter (Charlotte Gainsbourg) schläft sich dabei als fordernde und zugleich freiläufige Pianistin durch eine schmierige Männerwelt, während der Vater (Gabriel Garko) das ungestüme Divenhafte als Filmstar repräsentiert und nicht nur in seinem Aberglauben reichlich Potential für Stress findet.

So wird dann auch von ihnen jede noch so kleine Schuld Arias als Anlass genommen, sie zu bestrafen oder zu ignorieren, wobei nicht mal ihre zwei Schwestern Donatina und die Älteste, Lucrezia, eine große Hilfe wären und gerne mal jegliches Malheur auf sie schieben. Dysfunktionalität präsentiert sich hier mit besonders reißenden Zähnen, brüllt und schlägt hinter verschlossenen Türen, nervt die Nachbarn und wirft Obst zum Fenster raus, bis dann schließlich die Trennung kommt. Aria verbleibt mit Donatina bei der Mutter, die ab jetzt eine Freiheit und Ungezwungenheit verspricht, welche sie sich allerdings nur selbst zukommen und ihre Kinder folglich alleine zuhause lässt, während sie ganz Jet-Set um den Globus kurvt. Ein Besuch beim Vater bringt da auch nicht viel – der bevorzugt Lucrezia, kauft ihr jede noch so freche Lüge ab und setzt Aria vor die Tür. Kein Zuhause bleibt ihr übrig.

Angesichts dieser ganzen bitteren Faktoren wirkt beachtlich, dass Regisseurin Argento nicht im unentwegten Trübsal versauert, sondern stattdessen jene Abweisungen mit Abwechslung hinnimmt und ihre Aria stets auf neue Routen der Ersatzliebe schickt, inklusive schwarzer Katze im Käfig. Da mag es auch auf dem Schulhof hinsichtlich der meisten ihrer Mitschüler nicht unbedingt besser um sie bestellt sein. Jedoch überzeugt sie mit guten Noten und ist zudem ein Herz und eine Seele mit ihrer besten Freundin Angelica, während sie sich in den pseudo-coolen Fünftklässler Adriano verguckt. Ganz so unschuldig bleiben diese Verhältnisse aber nicht, schließlich wagt sie abseits der getrennten Elternhäuser in ihrer meist verborgenen Frustration die Rebellion, spielt Streiche, raucht bis zum Erbrechen und schwärmt von Rockstars.

Argento schenkt insbesondere letzterem Aspekt volle Aufmerksamkeit und lässt in beinahe jeder Szene Musik durch den Kopf des Zuschauers rauschen, wie es bei Aria als Abwehrmaßnahme gegenüber den ihr permanent zukommenden emotionalen Schwierigkeiten ebenso der Fall sein dürfte. Die Audioebene arbeitet als stürmisches Ventil der adoleszenten Verteidigung, zeigt sich aber auch personifiziert durch willkommen heißende Herumtreiber bei Nacht, gefeierte Rockbands und lockere Konzerttechniker als Sympathieträger für Aria. Die Musik neigt aber auch verbunden mit dem gnadenlosen Schnitt dazu, mit ihrer offenherzigen Emotionalisierung keinen Freiraum für einen natürlichen Aufbau der Gefühle des Zuschauers gegenüber dem Gezeigten zu lassen. Argento will hier ausschließlich unumstößliche Eindrücke des verkorksten Kindseins als Tatsachen aufzeigen; bar jeder Interpretation austragen, wie wild und einschlagend solche Erfahrungen in ihrem bloßen, für ein Kind schwer nachvollziehbaren Ablauf einwirken.

Deshalb bleiben auch die Verbindungsstücke zwischen den einzelnen Szenarien und Gefühlsschwankungen von Arias Umgebung meistens fern vom Narrativ oder nur kurzgefasst. Das Karma ist schließlich meist außerhalb ihrer Kontrolle: Da hagelt es kaum beeinflussbar von Tag zu Tag mal Verletzungen, mal Zärtlichkeiten; Freundschaften entstehen und zerbrechen; Enttäuschung und Glück finden keine rechte Balance. Der Film will folglich vom Konzept her keiner dramaturgischen Formalität treu bleiben, möchte Aria aber noch auf Erlösung hoffen lassen, selbst wenn sie diese in Verzweiflungstaten findet, die bei jenem maliziösen und lernunwilligen Figurengefüge eh nicht lange im Gewissen Bestand halten können. Ohne die Katharsis einer moralisch wohlstimmenden Läuterung, also selbstverständlich weiterdrehend im gebenden und nehmenden Lebenszyklus, legt dann auch der Schlusssatz von Aria, als Sprachrohr der Regisseurin Asia, die Karten abgeklärt auf den Tisch.

In jenem meint sie, sich anhand des Gezeigten nicht als Opfer darzustellen, sondern Verständnis für ihre Lage vermitteln zu wollen. Drum bleibt ihre Figur objektiv gesehen auch nicht schuldfrei, doch die Grenzen der Schuldfähigkeit eines Kindes mögen nur die wenigsten Charaktere im Film anerkennen oder nachfühlen können. Asia Argento erzählt daher ungeniert-treibend aus eigener Perspektive und Vergangenheit, mit den Augen und wundernden Gefühlsströmen ihres jungen Alter Egos. Sicherlich affektiert und mehr oder weniger direkt die dreckige Wäsche der Familiengeschichte hinschmeißend, wird hier jedoch aus dem Frust des Vergangenen und dem Mut des Verarbeitens keine weitere bloße Schuldzuweisung. Stattdessen machen alle mal Fehler und fallen von einem Missverständnis ins andere. Liebe findet man aber immer noch irgendwo wieder, auch nach dem Scheitern.

Meinungen

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