Wenn Matt Berninger im vollmundigen Bariton singt und dabei beinahe manisch ins Publikum segelt, dann steht derweil auch meist eine Flasche Wein auf dem Boden der Bühne. Manchmal füllt er ein Glas auf, manchmal hängt er schon sturzbetrunken an der Flasche. Doch währenddessen erzählt er als Kopf der Band „The National“ von Depression, Sex, Lügen und den Quälereien des kleinen Mannes – sozusagen vom destruktiven Melodram der Herren in Karohemden, welches uns selbst alle irgendwann trifft, warten wir nur lang genug. Einmal, in der schwelgisch-dekadenten Fabel „Vanderlyle Crybaby Geeks“ aus dem Album „High Violet“, fährt es aus Berninger wie eine vorweggenommene Anleitung des nun folgenden Dokumentarfilms seines Brudes Tom: „All the very best of us string ourselves up for love“. Tom und Matt sind sich nicht eins. Obwohl sie Brüder sind.
Tom Berningers „Mistaken for Strangers“ aber heißt nicht so wegen des gleichnamigen Songs aus dem Jahre 2007, er heißt so, weil Tom und Matt die Brüder sind, für die sie niemand hält. Manche halten sie für Fremde. Der eine: schlank, erfolgreich, wortwörtlich independent, eine Art Gott für eine beileibe nicht kleine Generation. Ein Hipster oder Dandy. Der andere: rund, erfolglos, Heavy Metal in der Musik und im Leben, zerlumpt und zerfahren. Ein Slacker. Zieht Matt um die Häuser, dann zieht er um die Welt, er tourt sich den Arsch wund, sieht Städte und Länder. Zieht Tom um die Häuser, dann zieht er … nun, halt um die Häuser seines Heimatortes Cincinnati, wo er noch bei seinen Eltern wohnt und belanglose Horrorkleinproduktionen dreht.
„Mistaken for Strangers“ zeigt dabei Phänomen und Realität inmitten eines Kampfes zweier Brüder, die einander irgendwann kennenlernen mussten, als der eine den anderen aus dem selbst eingerichteten Sumpf des Nichtstuns, des Lebens in Redundanz und Schmarotzertum zog. Weil Tom Berninger dort jedoch nicht bleiben möchte, stählt er ebenso seinen Dokumentarfilm mit unheimlicher, euphorisierender Energie, sodass es nur noch zu einem ehrlichen, wenn auch manipulierten Lachen führt. Dieser Tom rührt sich seinen Erfolg (?) erst an, als er vom Boden gezogen und getragen werden muss, Beruhigungspillen und Alkohol nicht mehr erbauen. Eine kleine, warme, persönliche Dokumentarfilmperle. Inklusive Klängen, welche das Herz umwühlen.
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