Mode ist ein Auslaufmodell – doch kommt sie immer wieder. Gleich eines Perpetuum mobile. Keine Ruhe, keine Rast, keine Zeit, keine Diplomatie. Spuren müssen sie, die Mannequins, Couturiers, die Sklaven der Frauen und Knechte der Hüften. Für Chic, für Tollen, für Bleistift-, Falten-, Bahnenröcke. Eine Tortur ist er, jener Hang zur unbedingten, alljährlichen, manchmal sogar halbjährlichen Perfektion, die sich schickt, niemals stillzustehen oder ihre beinahe militärische Ambition einzubüßen. Wenn jemand darum wusste, dann Christian Dior. Und wenn jemand darum weiß, dann Raf Simons. Über diese Männer erzählt Frédéric Tcheng in seinem zweiten Dokumentarfilm „Dior und ich“, der sich mit dem Traum des absoluten Scheiterns und dem Albtraum der absoluten Hingabe plagt. Ganz gestreng im Sinne seines Debüts über das einstige, natürlich drakonische, natürlich extravagante, natürlich königlich bewunderte Stammesoberhaupt der amerikanischen Vogue, Diana Vreeland, in „Diana Vreeland – The Eye Has to Travel“. Denn wer wie der Belgier Simons überraschend die Rolle des künstlerischen Leiters im Hause Dior übernimmt und innerhalb zweier Monate eine Haute-Couture-Kollektion entwerfen soll, der hat zu schwitzen und zu stammeln. Darunter prügeln sich entsprechend Aphex Twin, Caribou und Biosphere in einem Soundtrack, der zwischen unterdrückter Fahrstuhlmusik und Elektronikgewitter rangiert.
Statt die seit Jahrzehnten unersättlich werkelnden Näherinnen und Näher daher allein in ihrer faszinierenden, klackenden, uferlosen, zischenden Kleinstarbeit zu fokussieren, untermalt Tcheng die Schönheit des Vergänglichen mit einem Effekt, der sich bis in das Fundament seines Films ekelt. Aber dennoch die Finesse seines exzentrischen Ausflugs nicht unterbuttern kann. Dafür ist „Dior und ich“ mit seinen farblosen Archivaufnahmen, dem eindrücklichen Voice-over durch Omar Berrada, der Diors Memoiren aus dem Jahr 1956 rezitiert, und den vielen zuckenden Rädern einer nervösen Maschinerie zu unerbittlich, zu enthusiastisch, öffnend und tatsächlich: zu nah am Menschen. Da ist es kein Wunder, dass Simons, ein schüchterner Knabe in seinen späten Vierzigern, vor und während der abschließenden Schau den Tränen nahe am Rande des Geschehens um den Erfolg seiner Mode bangt. Es sind doch nur Menschen. Menschen mit schmalen Taillen, in Seide und Zigarettenhosen, im Bolero oder mit Drucken des amerikanischen Künstlers Sterling Ruby.
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