Regisseurin Andrea Roggon zeigt in ihrem Debüt-Werk, dem biografischen Dokumentarfilm „Mülheim – Texas: Helge Schneider hier und dort“, vor allem ein formvollendetes Grundverständnis für den Künstler an sich. Natürlich eignet sich Protagonist und Multitalent Helge Schneider als reizvolles Subjekt verschiedener Qualitäten: Seit Jahrzehnten auf den Bühnen, Platten und Leinwänden dieser Welt unterwegs, ist der profilierte Querulant geradezu prädestiniert für eine genauere Durchsuchung jenseits des Showcharakters. Roggon versucht jedoch nicht, eine Erklärung für all diese Kreativität herauszukitzeln; den Performer aus Mülheim an der Ruhr gar als Vehikel für eine forcierte Dramaturgie zu dekonstruieren. Vielmehr passt sie sich seinem Tempo und seinen Launen an, lässt ihn sich selbst sein und hält anachronistische Abwechslung – eine starke Vermittlung vom Wesen und Appeal des unumstößlichen Helge ist somit vom Konzept her gegeben.
Da kann man zwar von gefälliger Faszination fürs Sujet reden, stärker wirkt aber die Einsicht, dass hier schlichter Respekt am Werke ist – und gefällig ist an dem Mann schon mal sowieso nichts. Ein zentraler Kern seines Wirkens zeigt sich dabei in der Improvisation. Auf der Bühne, im Hinterhof, in der Wüste, am Meer, im In- und Ausland: Überall findet Schneider neue Wege zur Belustigung und nicht bloß musikalischen Inspiration. Mögen diese noch so abwegig erscheinen: In ihrer Freiläufigkeit folgt er dennoch einer inneren Strenge, die stets ihr pointiertes Ziel erreicht. Roggons Narrativ findet folglich ebenso ein System im Abstrakten; veräußerlicht damit sowohl das Leichtfüßige als auch Sehnsüchtige in Schneiders Stil. Ein Stück Dickköpfigkeit oder besser gesagt Eigensinnigkeit in der Nicht-Erfüllung der Normen wird da von beiden Seiten aufgegriffen. Man befindet sich entschieden im Abseits, findet darin aber den zutraulichen Flow. Nicht, dass daraufhin die Wahrheiten nur so heraussprudeln. Schneider fasst sich stets kurz und abgeklärt, doch gleichsam kumpelhaft und selbstbewusst.
Er biedert sich auch nicht dazu an, eine intellektuelle Komplexität darzustellen. Stattdessen definiert er sich durch die einfache Selbstverständlichkeit in seiner Liebe zum Jazz und zum freudigen Experimentierdrang; der Humor kommt dann wohl auch von seiner Persönlichkeit an sich heraus. Schneider kann seinen Ansatz zum künstlerischen Handwerk nicht offenbaren, wie man das Innenleben eines Menschen an sich nie komplett ergründen kann. Jenes Zugeständnis, das sowohl Hauptcharakter Helge als auch der Film macht, schafft jedoch gerade darin eine humane Greifbarkeit. Die Freiheit zu haben, dass zu machen, worauf man Bock hat; sich nicht erklären zu müssen: Das ist eben ein unentbehrliches Gut. Wie sich dieses Gut verselbstständigt, hängt vollkommen vom Individuum ab. In Schneiders Fall reicht es für einen beschwingten und entspannten Rückblick auf ein Arsenal des erlesenen Blödelns und Schaffens. Bewusst dem Konsens der Detaillierung entsagend und fantasievoll dem Konkreten verpflichtet, erschafft Andrea Roggon somit das stimmigst unstimmige Portrait für diese Ausnahmeerscheinung aus Nordrhein-Westfalen. Zudem ist es urkomisch – ganz subjektiv gesehen.
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