Es soll eine Chance sein, eine Opportunity, für einen Neuanfang, ein neues Leben. Vielleicht in bunt. Statt des alten in aschgrau. John May (Eddie Marsan) jedoch sieht in seiner Kündigung bei der Londoner Stadtverwaltung nur die letzte korrekte Aufarbeitung eines Falles – und allein aus dieser letzten Recherche vielleicht eine Chance, sein Leben aus der Tristesse, Pedanterie und Isolation zu hieven. Dabei folgen seine Tage immer dem Rhythmus eines exakten Uhrwerks: Verlässt er seine Wohnung in einem stereotypen, statischen Sozialbaublock nach einem fleischigen Dosenwulst von Frühstück, führt es ihn entlang brauner Wege und welker Vorgärten in sein Büro, irgendwo tief im Keller eines Amtsgebäudes. Es gibt immerhin ein Fenster, später soll es einmal mit einem Gürtel sein Henkerswerkzeug werden. Doch William Stoke ist tot – wer auch immer das ist, wer auch immer das war. Und weil William Stoke bereits zu Lebzeiten von jedem verlassen wurde, ein fortwährend alkoholisierter Querulant, wie er einer war, bleibt ihm letztlich nur John May.

Der ist in Uberto Pasolinis „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ Priester, Pfarrer und Rabbiner zugleich, nur ohne tatsächlich Kleriker zu sein. Nennen wir ihn einen Seelsorger der einsamen Toten: einen, der in den Häusern der Verstorbenen deren Überreste inspiziert, um damit Hinweise über mögliche Angehörige zu finden, und nach jeder (meist allein nur von ihm besuchten) Beerdigung ein Foto seines abgeschlossenen Falls in eine Art eigenes Humanressourcen-Familienalbum klebt. Es ist auch die einzige Familie, welche John May schließlich bleibt. Der Einzelgänger stirbt auch unter Einzelgängern allein. Ebenso wie der Strickpullunder dieses Protagonisten seine groteske Akribie charakterisiert, kratzt auch Pasolini in seinem Film über das Antlitz des Bürgerlichen innerhalb einer sogar menschlichen Wegwerfgesellschaft. Manchmal zart, immer aber leise, beinahe stillstehend. Selbst die Asche im Krematorium weilt in grünen Plastikbehältern, als ob diese vielmehr Pflanzendünger und nichts Menschliches enthielten. Gleichzeitig haftet „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ darin aber auch opportunistischer Pathos an, ein Streben nach etwas Höherem im pikierten Dasein eines einfachen Arbeiters, der niemals mehr als eine Karikatur ist, obwohl ihn der großartige Eddie Marsan spielt.

Dabei war es einfach nur seine Arbeit.

Meinungen

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