Journalisten sind wie Aasgeier: Sie kommen zu einem Schauplatz des Verbrechens und zerfleischen das Opfer, bis es in ihrer Welt nicht mehr existiert – oder in der Welt, die sie erschaffen. Der allgemeine Hass gegenüber der Vermarktung des Leids ist nachvollziehbar, besonders hinsichtlich fingierter Schlagzeilen, die wesentliche Dinge außer Acht lassen. So schwand das Interesse an Meredith Kercher schnell, nachdem die Presse die mutmaßlichen Täter Raffaele Sollecito und seine Freundin Amanda Knox ins Rampenlicht stellte. Die 21-jährige Britin Kercher wurde am 1. November 2007 in Perugia ermordet aufgefunden und weder Polizei noch Justiz konnten den genauen Tathergang rekonstruieren, da der Fall auf außergewöhnlich intransparente, widersprüchliche und chaotische Grenzen stieß und daher bis heute ungeklärt ist. Sicherlich trug der agitierende Journalismus dazu bei, dass die Angeklagten von Perugias Bewohnern nahezu dämonisiert wurden. Die ganze Stadt teilte sich in zwei Lager, die sich nicht über die Schuldfrage einig werden konnten.

Michael Winterbottom, Gewinner des Goldenen Bären im Jahr 2003 für „In This World – Aufbruch ins Ungewisse“, verfolgte den ungewöhnlichen Fall und plante, diesen aus distanzierter Perspektive zu erzählen. Die Intransparenz dessen zeigte jedoch, dass es unmöglich war, die „Wahrheit“ zu erzählen – weswegen sich sein Film „Die Augen des Engels“ genau mit dieser Diskrepanz zu beschäftigen versucht. Winterbottom orientiert sich stark an besagter Tat, verlegt die Handlung jedoch nach Siena, wo eine ähnlich altertümliche Atmosphäre wie in Perugia herrscht, und bringt fiktive Charaktere in die Geschichte, die eine gewisse Distanz bewahren. So setzt der Film bei dem Filmregisseur Thomas Lang (Daniel Brühl) ein, der sich in einer tiefen Sinnkrise befindet, nachdem er seine anfänglichen Erfolge nicht wiederholen konnte. Er bekommt jedoch eine neue Chance, sein Können zu beweisen, indem er einen Film über den Mordfall von Siena drehen soll. Schnell wird ihm aber dasselbe klar wie Winterbottom: Es ist falsch, eine Wahrheit zu erzählen, wenn es keine unterstützenden Beweise gibt. Daher wird die Aufgabe, etwas Absolutes zu realisieren, zu einer Bürde, die Thomas nicht tragen kann.

Leider verliert „Die Augen des Engels“ an Interesse, wenn er erst richtig interessant werden soll. Das liegt nicht nur am ungeschickten Einfädeln eines auktorialen „Charakters“, sondern ebenso an der verwirrenden, hektischen Inszenierung von Thomas’ Manie, die häufig in monotonen, drogeninduzierten Tagträumen ausgearbeitet wird. Es strengt zudem an, den Überblick über das Beziehungsgeflecht zu behalten. Überzeugend ist hingegen die Darstellung eines Regisseurs, der nach Input sucht und daran scheitert, diesen zum Gefallen aller umzusetzen – was nicht nur an der fehlenden Moral von Produzenten und Journalisten liegt, sondern auch an der eigenen Misere, die Thomas immer wieder einholt. So wandelt er in verschiedenen emotionalen Zuständen, deren Beschaffenheit auch seine geliebte Tochter beeinflusst, da sie ihm ungemein fehlt. Generell sind es Frauen in Thomas’ Umgebung, die ihn beschäftigen und Impulse geben. Durch Simone distanziert er sich von den Aasgeiern; durch Melanie kommt er wieder in Balance. Denn sie stärkt nicht nur sein Selbstbewusstsein, sondern katalysiert eine Reflexion, die für eine Weiterentwicklung nötig ist.

Jedoch bleibt der Film aufgrund seiner distanzierten Perspektive zu unspektakulär und baut wenig Spannung auf. Die Eingliederung von mittelalterlichen Bezügen passt zu Sienas Atmosphäre – aber es wird kein klarer, inhaltlicher Bezug hergestellt, der verwertet werden könnte. Daher hängt die Aussagekraft der Handlung an einem seidenen Faden, was Winterbottom immer wieder mit Hilfe von Engelsaugen oder redundanten Albträumen im bedrohlichen Siena kaschiert. Das Geschehen verliert sich so in engen Gassen und wird von ihnen verschlungen.

Meinungen

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