Laurence möchte kein Mann mehr sein. Er fühlt sich in seinem Körper gefangen und beschließt deshalb, von nun an eine Frau zu sein. Was die Gesellschaft von dieser Entscheidung hält, ist ihm dabei eigentlich völlig egal. Wenn da nicht noch Fred wäre, die große Liebe seines Lebens. Und eigentlich begann die Liebe zwischen dem ruhigen Laurence (Melvil Poupaud) und der aufbrausenden Fred (Suzanne Clément) zunächst so gewöhnlich: Sie lernen sich auf dem Filmset kennen. Erste Dates folgen. Schließlich verlieben sich die beiden ineinander. Kissenschlachten, wildes Geknutsche im Auto. Sie führen eine leidenschaftliche Hetero-Beziehung in einem nonkonformen, hippen 90s-Ambiente. Doch dann kommt Laurence’ 35. Geburtstag und alles ändert sich: Laurence ist jetzt eine Frau. Ihre Liebe wird unkonventionell und die Welt um sie herum schnell von den Konventionen vereinnahmt.
Der junge kanadische Regisseur Xavier Dolan bringt mit „Laurence Anyways“ seinen dritten Spielfilm in die Kinos und bleibt auch mit diesem seinen Lieblings-Sujets treu: Liebe, Sexualität und dem Anderssein. Bereits in seinen ersten beiden Filmen „I Killed my Mother“ und „Heartbreakers“ widmete er sich Themen, die im Mainstream-Kino meistens keinen Platz finden. Während in seinem Debütfilm ein schwuler, junger Mann mit seiner konservativen Mutter zu kämpfen hat, erzählt „Heartbreakers“ die traurige Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und einer Frau. Mit „Laurence Anyways“ greift Dolan nun den Topos der Transsexualität auf. Was bedeutet es, im falschen Körper zu stecken? Einem bestimmten gesellschaftlichen Konstrukt entsprechen zu müssen? Obwohl man sich doch eigentlich so fremd fühlt in dieser Welt, in diesem Körper.
Dolan geht dabei noch einen Schritt weiter und reduziert den Film nicht nur auf eine Perspektive – die des Protagonisten Laurence –, sondern räumt allen Beteiligten gleich viel Raum ein. Die Beziehung zwischen Fred und Laurence ist nicht nur auf eine Probe gestellt, weil Laurence mit seiner Entscheidung zurechtkommen muss, sondern vor allem auch, weil Fred sich klar werden muss, ob sie mit Laurence’ Entschluss leben kann. Egal wie groß die Liebe zwischen den beiden ist, wird sich vieles ändern. Das spüren die beiden nach kürzester Zeit. So sehr Fred auch versucht, mit der Situation zurechtzukommen, stößt sie in der Öffentlichkeit immer wieder an ihre Grenzen. Während die beiden in einem Café gemütlich eine Tasse Kaffee genießen wollen, ziehen sie schnell die Blicke auf sich. Immer wieder fällt der Blick der anderen Gäste auf Laurence. Auf ihn beziehungsweise sie. Seine auffällig rot geschminkten Lippen, seine frauliche Kleidung, seine femininen Gesten. Damit kommt Fred nicht zu recht. Sie flippt aus, beschimpft die Kellnerin und zugleich das gesamte Publikum im Café. Sie kann es einfach nicht fassen, wie oberflächlich und intolerant alle sind.
Diese unkonventionelle Liebesgeschichte erinnert in ihrer exzentrischen Camp-Ästhetik stark an die frühen Filme Almodóvars. Berauschende Bilder, eine rhythmische Dramaturgie, begleitet von einem großartigen Soundtrack. Dolan verbindet in „Laurence Anyways“ opulente Bilder mit Figuren, die bewegen. Die Komposition gleicht einer epischen Sinfonie, in der alles möglich zu sein scheint. So hoffnungslos die Beziehung zwischen Laurence und Fred auch scheinen mag, finden sie doch immer wieder zueinander zurück – ein Leben ohne einander ist für beide unvorstellbar. Diese Möglichkeit des Unmöglichen und zugleich die Unmöglichkeit des Möglichen wird in den Bildern orchestral inszeniert. „Laurence Anyways“ lebt vor allem von seinen Kontrasten. Intimität wird der Üppigkeit gegenübergestellt. Traum und Fantasie werden gepaart mit Wirklichkeit. Im einen Augenblick betritt Fred mit einer extravaganten Hochsteck-Frisur den Disko-Tempel und wandert – von der Farbenvielfalt der Laserstrahlen begleitet – durch den dunklen Raum. Wenig später sehen wir dann völlig andere Bilder: ein imposantes Naturpanorama. Das klirrende, grellweiße Eis im nördlichen Atlantik wird gezeigt.
Spätestens als dann Laurence und Fred – von tiefstem Schnee umgeben – in der grellen Wintersonne die Straße entlangschlendern, während es vom Himmel bunte Kleidung schneit und im Hintergrund „A New Error“ von Moderat ertönt, erreicht die fantastische Komposition von Bildgewalt und Emotionalität ihren Höhepunkt. Es fällt schwer, sich zu entscheiden. Liegt es an der Musik? Den so wunderbar arrangierten Bildern? Oder schlichtweg Laurence und Fred? Eine Trennung dieser Ebenen ist schwierig. Vielmehr ist es gerade das Zusammenspiel all dieser Aspekte, welche Dolans Sinfonie zu einem bewusst inszenierten, epochalen Kunstwerk werden lässt. Ein wenig Kitsch und viel Opulenz kombiniert mit genuinen Emotionen können die harte Realität in diesen kunterbunten Konfetti-Traum verwandeln. Am Ende sind es doch immer wieder die intimen Momente zwischen Laurence und Fred. Ob der Opulenz der Bilder reduzieren diese subtilen Aufnahmen den Film auf das Wichtigste: die Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen. Zwei Menschen, die sich lieben.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Laurence Anyways“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.