Obgleich der Gangster-Film punktuell ausgefleddert und oftmals nur eine Rezeption bekannter Elemente ist, etablierte er sich als prototypische Männerfantasie, die sich als wiederkehrendes Element des Faszinierenden und Fernen als großes Absurdum positioniert. In westlichen Gebieten oftmals als Abgesang des amerikanischen Traums rezipiert, separieren sich asiatische Interpretationen der Gangster-Thematik oftmals als vor Gewalt triefendes Monstrum von politischer sowie existenzieller Implikation der dargestellten Parteien. Die strukturierte und sehr berechnende Auseinandersetzung eines Kim Jee-woons  („A Bittersweet Life“) akzentuiert sich von der stilisierenden Form eines Johnnie Tos („Election“) und suggeriert damit für das Gangster-Genre ein deutlich größeres Spektrum an Möglichkeiten, als es dem gesamten westlichen Markt scheinbar zur Verfügung steht.

Lee Ja-sung (Lee Jung-jae) ist ein Undercoverpolizist, eingesetzt von Polizeichef Kang (Choi Min-sik), der seit acht Jahren das kriminelle Goldmoon-Kartell infiltriert und nun zwischen die Fronten gerät, als der Chef des Kartells stirbt und ein Nachfolger gesucht wird. Der Konflikt seiner eigenen Prinzipien um Recht und Ordnung bringt ihn mit seiner Aufgabe, die er als Polizist auszuführen hat, immer näher an den Abgrund – und er droht alles zu verlieren, was er hat.

„New World“ ist ein Spiel der Grenzen, welches genauso instabil wie grotesk ist. Der Balanceakt zwischen Gut und Böse, schwarz und weiß, richtig und falsch ist ein fragwürdiges Risiko zwischen Macht und verlorenen Idealen. Es gibt keine klaren Linien, die bestimmen, wer das Flagschiff der Guten und wer der Untergang der Bösen ist, sondern die sich jederzeit impulsiv verhaltenden Charaktere stemmen die Frage des Richtigen und Falschen, aber beantworten sie nicht. Sich selbst nicht bewusst werdend, welcher Weg der richtige ist, fungiert der Albtraum der Macht als übersensibles Konstrukt der fehlerhaften Koexistenz von verträumter Ruhe und verblichener Befriedigung. Ein Dreifrontenkrieg der Justiz, der Kriminalität und der Moral überstreckt die Frage nach Gerechtigkeit als fluoreszierendes Licht des Abgrundtiefen. Die Menschen sind handelnde Mechanismen, keine Individuen der selektierten Welt, die sich ebenso brachial außenstehend präsentiert, wie es die Charaktere stets unweigerlich in den Vordergrund rückt. Doch selbst sind sie nicht in der Lage dem Druck zu bestehen, der sich bei jedem falschen Schritt maximiert. Wie so oft in ambitionierten, aber leider reichlich verkalkulierten Werken ist auch hier die Absicht zu konträr zum Inhalt des Machtkampfes. Wenn sich Ja-sung weiterhin vergeblich windend in der Katharsis seines eigenen Verschuldens suhlt, ist es zumeist nur Min-siks Charakter Kang, der in der Lage ist, das Chaos in Richtung der Ordnung zu lenken und aus dem brüsken Wirrwarr aus Emotionen und Komplexen, den Ausgang zu finden.

Besonders grotesk mutet „New World“ in seinen Gewaltexzessen an. Hier wird besonders deutlich, dass derselbe Autor ebenfalls das Drehbuch zu „I Saw the Devil“ geschrieben hat; nur mit dem Unterschied, dass die Gewaltorgie nicht zum Gewaltporno mutiert und sich als Selbstzweck offenbart. Anders als bei Genre-Verwandten wie Johnnie To misslingt Regisseur Park Hoon-jung die stilisierte Darstellung der Gewalt und macht aus ihr nur eine voyeuristische Begleiterscheinung. Eine Szene, in der sieben Mann einen Messerkampf in einem Fahrstuhl führen, hat aber gleichzeitig auch etwas Sinnbildliches: Die verzogenen Fratzen der Männer, wie sie unkontrolliert aufeinander einhacken, ist ein so lauter Schrei der Verzweiflung, dass es die gesamte Machtkonstellation resümiert. Niemand ist der Gewinner, solange es einen Gegner gibt. Dennoch bleibt der Zuschauer stets ein gaffender, der er auch schon bei „I Saw the Devil“ war und beobachtet, besonders in seinen exzentrischen Momenten, das Geschehen als stummer und sabbernder Außenstehender.

Scheinbar ohne Scham bedient sich „New World“ an bekannten Genre-Vertretern und erscheint so wie eine Mischung aus „Infernal Affairs“, „Election“ und „Der Pate“, doch bleibt in seiner Art und Weise deutlich hinter den Filmen zurück. Nur selten erreicht „New World“ die Kompromisslosigkeit eines „Infernal Affairs“ oder die narrative Festigkeit eines Vertreters der „Pate“-Trilogie. Am ehesten erreicht er in seinem strukturellem Aufbau Parallelen zu „A Bittersweet Life“ und zeigt so deutlich seine Inspirationen, die er jahrelang unter den Fittichen von Kim Jee-woon eingeholt hat. Bedauerlich ist zumeist nur die vorgetäuschte Komplexität des Ganzen. Hinter der Fassade des Machtkampfes versucht Park Hoon-jung vermehrt zwischenmenschliche Konflikte sowie persönliche Diskrepanzen zu thematisieren, scheitert aber anhand der vielen Plot-Gegenstände, die sich im Laufe der zweistündigen Laufzeit auftun und dabei oft nicht erzählt und nur angedeutet bleiben.

Den größten Kritikpunkt handelt sich Park in seiner Darstellung der maskulin dominierten Welt ein. Männer sind die Alphatiere und allein Männer sind es, die das Recht auf Herrschaftsanspruch haben. Zwar sekundiert er damit das Bild, welches der geneigte Zuschauer hinter der Fassade des Triaden-Geschäfts zu erkennen glaubt, bleibt aber vollkommen distanziert in einer realitätsnahen Welt. Ein klares Exempel wird statuiert, wenn die scheinbar wichtigste Frau in einem Fass erniedrigt und beleidigt und in der Hierarchie als menschliches Individuum deklassiert wird. Wertlos und vollkommen deplatziert handeln alle Frauen als uninteressante Charaktere. Bleibt die Frage, inwiefern „New World“ relevant für sein Sub-Genre ist. Grenzen überschreitet der Film nie. Beizeiten zieht er sogar den Schwanz in Angesicht seiner angerissenen Thematik ein. Die Gewaltdarstellung bleibt einer FSK-18-Freigabe weiterhin schuldig und ist ebenso redundant, wie verkalkuliert. Jeder Charakter bleibt eine Schablone seiner selbst und Frauencharaktere sind Mittel zum Zweck, um sich dem Männertypus zu beugen. Obgleich die Bilder es teilweise schaffen Johnnie-To-artige, selbstreflexive Wendungen zu transportieren, bleibt Park Hoon-jungs zweiter Spielfilm ein uninteressantes Werk.

Meinungen

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