„Irren ist menschlich, vergeben ist göttlich.“ Wie der einstige englische Dichter Alexander Pope im frühen 18. Jahrhundert bei dem Versuch über die Kritik bereits zu dieser Erkenntnis gelangte, so versucht sich nun auch der dänische Ami Nicolas Winding Refn an diesem vermeintlichen Leitspruch für seinen Jüngsten „Only God Forgives“. Dieser befindet sich in einer neon-rot-blau-schwarz-gefärbten Trance und vergisst dabei so manches Mal die Kamera zu bewegen, obwohl er doch eigentlich so gerne einen neuen Westernheld hervorgebracht hätte. Da sich der Wilde Westen heutzutage allerdings längst nicht mehr in den durch Konventionen geschwängerten, verstreuten Staubzonen Nordamerikas finden lässt, wurde er kurzer Hand nach Südostasien verlegt. Da treiben sich neuerdings die richtig harten Burschen herum! „Zeit, um dort den Teufel zu treffen!“
Irgendwie war dies auch nahezu vorprogrammiert für diese verko(r)kste Familienbande. Vorne weg treffen wir zunächst auf Billy (Tom Burke), der mit seinem ebenso untadeligen, jüngeren Bruder Julian (Ryan Gosling) einen Thai-Box-Club betreibt, der die hübsch hässliche Fassade für ihre wahre finanzielle Haupteinnahmequelle bietet. Natürlich, es geht um Drogen! Die Räumlichkeiten ziehen uns hinein in dogmatische, beklemmende Zellen, die durch ihre grelle Rotlichtdynamik ebenso Potential für ein nüchternes Bordellszenario gehabt hätten. Sex bekommen wir trotzdem geboten. Es ist fesselnd. Sex allein mit sich selbst ist sicher und zu bevorzugen. Das bleibt im Raum stehen. Ausgesprochen oder gar erläutert wird hier nichts. Gelesen wird in den Blicken. Sehnsucht, Verwunderung, Hilflosigkeit, Verlangen, die Frage: Sind wir nicht Voyeure unserer eigenen Triebe? Von Anfang an wird die hypnotisch wirkende Szenenanalogie mit herzschlagartigem Gebrumme untermauert. Es dröhnt. Es ist laut. Es ist lästig. Es hat Rhythmus – den Rhythmus der Angst, wenn wir alleine sind, mit uns und unseren Gedanken, die wir so oft nicht aussprechen können oder es nicht wagen. Cliff Martinez’ Sound verzaubert dieses Mal nicht mit Anleihen an die Achtziger, an dessen Stelle tritt jedoch eine zugleich faszinierende Melodie, die eigentlich keine ist, aber einen sofort gefangen nimmt.
Drahtzieherin hinter den Geschäften ihrer Söhne, dem schweißnassen Sumpf aus Blut und Gier, ist die Mutter, die passenderweise auf den Namen Crystal (Kristin Scott Thomas) hört. Der Pferdeflüsterin längst entrückt, wünscht man sich für Scott Thomas dennoch ein wenig mehr Sanftmut in ihre Rolle hinein, die dies aber niemals zulassen würde. Crystal überlässt ihre Zöglinge schön brav den thailändischen Gepflogenheiten und frönt stattdessen ihrem einsamen, luxuriösen Leben als Gangster-Diva im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mit all den Stars und den funkelnden Zugaben. Alles könnte so wunderbar sein, hätte ihr Liebling Billy nicht eines Tages eine erst 16-jährige Prostituierte auf widerlichste Art und Weise um ihr Leben gebracht; „aber er wird schon seine Gründe gehabt haben“, meint Crystal ganz selbstverständlich. Derart einfach ist es aber nicht, denn nun fühlt sich Chang (Vithaya Pansringarm) auf den Plan der Vergeltung gerufen, der in seinem selbstgezeichneten, randfreien Revier so etwas nicht duldet und nun in seiner unnachahmlichen Weise für Recht und Strafe sorgt. Eine von Gott gegebene Ordnung ist doch eben auch im Sinne der Polizei, nicht wahr? Gesagt, getan, initiiert! Gewalt wird mit Gewalt vergolten. Das Schicksal von Billy war damit keine Überraschung, er hatte nur einen recht kurzen Auftritt. Eigentlich schade, denn wie wir später von Mutti bei Tisch erfahren müssen, hatte er doch gegenüber seinem kleinen Bruder den deutlich Größeren. Doch darüber zu Grübeln ist nicht angebracht, schließlich werden sich die sinnentladenden Dialoge noch häufen; also die vier oder fünf an der Zahl. Nun muss zunächst gehandelt werden! Mutti eilt zu Hilfe! Nebenbei lässt sich feststellen, dass Essstäbchen nicht nur zum Verzehr von Speisen geeignet sind. Die stärkste Waffe ist man(n) hingegen immer noch selbst. So versucht Julian nach anfänglichem Zögern den Mord an seinem Bruder zu rächen und hofft darauf, es sei ganz einfach. Mann gegen Mann! „Wanna fight?“, fragt er Chang nüchtern, ohne eine Miene zu verziehen. Typisch Gosling halt!
Danach wird man sich allerdings wünschen, ach, hätten sie sich doch bloß wie damals im klassischen John-Wayne-Western mit Pistolen duelliert; aber nein, das war uns nicht vergönnt. Stattdessen sollten die Fäuste sprechen, die Julian aber nicht mit genügend Durchschlagskraft versehen konnte. Kein Wunder, wer fightet auch in seiner Anzug-Robe? Nein, das konnte nicht gut gehen! Und man mag von da an als Gosling-Fan nicht mehr auf die Leinwand gucken. Verzauberte er uns sonst wie eine 100%-Versicherung auf Beauty-Verzückung stets mit seinem unwiderstehlichen andeutenden Lächeln, sieht er hier bis zum bitteren Ende kaum mehr aus seinen purpur geschwollenen Augen heraus. Gut, Gosling war nicht Refns erste Wunschbesetzung für die Rolle des Julian, möglicherweise suchen wir auch deshalb dieses Mal den coolen, wortlosen Helden in ihm vergeblich. Wir finden ihn aber leider auch sonst nirgends, weder in Muttis Schoß, noch auf der Gegenseite. Der guten Seite? Oh, Entschuldigung, gut und böse wurde ja hier zusammengebacken. Refns Rezept für seinen farbstoffbelasteten Kuchen, in dem weniger doch mehr werden sollte, ging leider von Beginn an nicht auf. Chang kann machen, was er will, er gewinnt nie wirklich an Überzeugung. Und mal ehrlich: Männer, die freiwillig zum Karaokesingen auf die Bühne stürmen, können einem doch gar nicht geheuer sein, geschweige denn, kann man diese für voll und ganz nehmen, oder? Zudem hat der gute Vergeltungspatron bei der mickrigen, verkümmerten Handlung keine Chance an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Chang erinnert intuitiv an meisterhafte Vorbilder aus dem Asia-Kino, deren Namen uns nicht einfallen wollen. Wie hießen die noch gleich? Auf diese Gedächtnislücke hat sich wohl auch der Herr Refn verlassen. Vielleicht darf man ihm das aber nicht allzu übel nehmen, lebt er doch schon zu lange in den Vereinigten Staaten.
Der Film wirkt wie ein Albtraum, in dem nichts so recht zusammen passen will; wie eine Folge „Twin Peaks“, die heimlich aus ihrem Nebel der Vergangenheit geholt und nach Bangkok entführt wurde. In der Fremde angekommen, versetzte man ihr rücksichtslos mächtig Goldstaub und eine Überdosis UV-Strahlen. Wir erstarren. Wir erstarren, aber nicht vor Ehrfurcht, sondern vor der Zeit, die es anscheinend doch schafft, ab und an stehen zu bleiben. Und das in der Postmoderne! Man hat zwischendurch gar das Gefühl, man könne rückwärts schlucken, so benommen machen einen die Bilder aus dem Kopf des Regisseurs. Wie mit dem Seziermesser bedroht er unsere Geduld und drängt uns in Zeitlupengeschwindigkeit seine neurotischen, maskulinen Fantasiegebilde in Leib und Seele auf. Fliehen kann man durchaus, aber als gäbe es keine Option, bleibt man in seinem Sitz gefesselt. Bis zum Ende, bei dem uns Friedensrichter Chang mit seinem femininen Gesang den Glauben an ein Happy End beraubt. Raus aus dem Kinosaal! Den Rot-Grün-Test beim Augenarzt, zum Feststellen des Krümmungsverhaltens der Pupille, sollte man danach vermeiden. Doch mit seinen Ängsten sollte man sich bekanntlich auseinandersetzen und wie während des Films die Eingeweide prüfend genau geknetet werden, so solle man vergleichend präzise seine ästhetische und ethische Wahrnehmung prüfen. Fragen wir doch wieder den, der Gott am nächsten steht, der bewährte Pope. „Zornig sein heißt, den Fehler anderer an sich selbst rächen.“
Refn schneidet sich definitiv ins eigene Fleisch. Gelang ihm mit „Drive“ auch ohne viel Worte noch exakt der feinfühlige, richtige Mix aus Coolness, Gewalt, Liebe und Beharrlichkeit, der nicht eine Überdosis Testosteron voraussetzte, beißt er mit seinem aktuellen Nachfolger auf zu vielen Schablonen seiner vermeintlichen Idole herum und wollte dabei doch im Grunde nur auf eine zielen: Es sollte eine Huldigung an Alejandro Jodorowksy werden, dem chilenischen Kult-Absurdum. Dieser hat im Vergleich mit dem deutlich jüngeren Dänen, jedoch stets bei jeder fallgefährlichen Schneise, noch die Kurve bekommen. In „Only God Forgives“ bleibt durchwegs nur sichtbare Ratlosigkeit in den Gesichtern der Zuschauer zurück. War es die pure Lust an einer perfektionistischen, stilistischen Umsetzung einer düsteren Realität, fern unseres Alltags, einer Gewaltorgie, einer Agonie, die uns hier vermittelt werden sollte? Und so bleibt nun bei Refns göttlichem Bemühen, irgendwie am Ende noch dieses Eine zurück, dass, das man so gerne früher ausgesprochen hätte, sich aber nicht getraut hat. Es ist Refn. Und der ist jetzt schon wer. Keine Kamerawackler oder rucklige Schnitte mehr wie in „Pusher“, Gott behüte! Hat er mittlerweile in Cannes doch schon seinen festen Anlegeplatz. Aber hätte er nicht was Anderes machen können? Gut, vielleicht hat er das eben jetzt, etwas Anderes gemacht. Doch nochmal zum Rot-Grün-Test! Aber war der nicht eindeutig? Vielleicht sieht man auch mit dem einen Auge aus „Walhalla Rising“ in Zukunft besser. Aber stopp! Die letzten Worte sollten gebührend dem Pope gehören: „Der Teufel ist jetzt weiser als vordem, er macht uns reich, nicht arm, uns zu versuchen.“
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Bisherige Meinungen
Ganz schön vernichtend …
Herr Refn hatte mit der Rezensentin noch Glück, ich für meinen Teil hätte ihn noch mehr zu Grabe getragen.