Welcher Gedanke wohl kreiste in den Köpfen französischer Kritiker, als sie erfuhren, dass sich Brian de Palma des Remakes von Alain Corneaus „Liebe und Intrigen“ annahm? Schließlich bediente sich ein Mann, der in ihren Augen kaum imstande sei, einen Fehler zu machen, eines anderen Mannes, um den sie sich nicht allzu scherten. Vermutlich haderten sie wenig mit der Realität und De Palma selbst, der als Elster des Kinos förmlich alles im Prozess eines Films wiederverwenden, adaptieren und daraufhin zusammensetzen kann. Wie geschaffen kam „Liebe und Intrigen“ daher, der 2010 kurz nach Corneaus Tod an Krebs erschien und schon eine Modernisierung von Fritz Langs letztem amerikanischen Film „Jenseits allen Zweifels“ (1956) darstellte.

Das Szenario ist durch und durch De Palma: die aufreizend autoritäre Christine (Rachel McAdams) nimmt sich ihrer kreativen Untergebenen Isabelle (Noomi Rapace) an – in weitaus vielfältiger Sicht als der reinen Arbeitsbeschaffung. Da fördert die eine durch die Leistungen der anderen ihre Karriere, es folgt ein Pakt um Christines Liebhaber Dirk (Paul Anderson), bis der Protegé die Mätzchen durchschaut und selbst Gift spritzt. Der perfekte Sündenbock ist in einem De Palma immer Schein; auf die Schikane folgt unentwegt das Blutbad.

Im Gegensatz zu Corneaus „Liebe und Intrigen“ ist es kein Spiel der Generationen mehr, keine Parabel auf den Kapitalismus, kein Thriller mit Bodenhaftung oder ein Sinnbild für das verkorkste Beieinander zweier Frauen, die im Verhältnis von Angestellter und Chefin psychosexuelle Machtspiele fordern. Eigentlich schöpft „Passion“ seine Daseinsberechtigung allein daraus ein Film von Brian De Palma zu sein, der Brian De Palma zitiert. Tatsächlich ist diese Maskerade anziehend – in ihrem Scheitern gegenüber Konventionen, die einen Thriller bisweilen das Unbewusste und Erschreckende geben. Doch selbst die Erotik ist eine gestelzte und maßt sich dennoch Parallelen mit Paul Verhoevens „Basic Instinct“ an; nur das eine Noomi Rapace kaum eine Sharon Stone ist und Rachel McAdams die eiskalte Aura lieber mit Desinteresse mischt.

Gedachte De Palma „Passion“ vielleicht sogar als Komödie mit voyeuristischen Tendenzen, die ein selten gesehenes Genre aus der Provokation des Scheiterns ableitet? Sicher ist: Selbst in den wenig befremdlichen Sequenzen (die es an einer Hand abzuzählen gilt) bleibt es ein rigoroses Kabinett von Anspielungen auf die eigene Filmographie – wohlgemerkt eine, die abgesehen von einigen Höhepunkten verstörend banal wirkt. Gelingt ein De Palma, dann ist dieser Verdienst immer an den Stab hinter ihm gekoppelt, besonders aber den Drehbuchautor: Sehenswert ist das Spiel mit dem Exzess noch in „Scarface“ (Drehbuch: Oliver Stone, 1983) und die alltägliche Destruktion nach einer Vorlage von Stephen King in „Carrie“ (Drehbuch: Lawrence D. Cohen, 1976) sowieso; doch stehen beide noch für die Vielfältigkeit, die auch die anarchischen Slapstick-Platituden in „Wise Guys“ (Drehbuch: George Gallo, Norman Steinberg, 1986) streift und im Magnum Opus „Die Unbestechlichen“ (Drehbuch: David Mamet, 1987) endet. Gelingt er jedoch nicht, nun, dann adaptiert De Palma wahrscheinlich anhand eines Drehbuchs von De Palma. Nicht erst seit dem als Antikriegsfilm bezeichneten Antifilm „Redacted“ (2007) wirkt der Fakt wie Routine; da überrascht auch der Nachfolger „Passion“ wenig.

Wenn überhaupt gilt De Palma bei Befürwortern seiner Kunst als Relikt einer Generation amerikanischer Filmemacher mit Pioniergeist im Blut. Für alle anderen jedoch übertüncht er seit nahezu zwanzig Jahren fortwährend jeden Ansatz in herber Stilisierung und einem Unverständnis für den Menschen selbst. Ein Martin Scorsese, Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, sogar ein George Lucas – sie alle zeigen Liebe ihren Geschichten gegenüber, die das Visuelle übersteigen und doch nie verdrängen. De Palma wiederum bebildert rigoros Formalitäten: kühle Bilder, manchmal verdreht in Poesie („Mission to Mars“, 2000), mal voll arglistiger Paradoxa („Spiel auf Zeit“, 1996). In „Passion“ kommt zusammen, was noch bis in die Achtziger funktionierte, doch im Heute einem Déjà-vu seltsam nahekommt. Allein der Titel fügt sich irgendwo zwischen „Body Double“ (1980) und „Der Tod kommt zweimal“ (1984) ein, ohne daraus einen Reiz zu schöpfen, ebenso wie der Film geschnitten und gedreht ist wie ein Zwitter aus Seifenoper und seichtem Porno, um im Finale nochmals sein Gesicht zu wandeln.

Das Spiel der doppelten Identitäten sorgt ohnehin mit fortschreitender Laufzeit für Amüsement gegenüber diesen allzu monochromen Charakteren, die ein Motiv für ihre Taten suchen müssten, wenn es nicht aus Freude an der Langeweile passiert. Mit Fantasie und überhöhter Interpretation ist „Passion“ wenigstens eine Schau für Haute Couture; und vom Schuhfetisch zu Sadomaso sowieso nicht weit. Schauderlich verkommt dann eher die Kombination mit Pino Donaggios Score, der tief in der Trickkiste von erotischen Thrillern der Achtziger unfreiwillig absurde Klänge bedient. Da stellen wir fest: Es war schöner, als Brian De Palma statt seiner selbst wenigstens noch Alfred Hitchcock zitierte. Denn zumindest die Ausgangslage versprach Qualität.

Meinungen

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