Aus hiesigen Landen kommt manch unterschätzter Veteran nur selten zu Ehren. Deshalb widmen wir uns dem Werk von Hans W. Geißendörfer in einer Retrospektive voller Filmschätze. Einer davon heißt „Perahim – Die zweite Chance“ und wurde uns von der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Die trostlosen Recken der Unterwelt sind nicht zu beneiden. Abgetrieben von der Gesellschaft bleibt ihnen nur der Weg vorbei übrig – und selbst wenn sie eine Rückkehr versuchen, haftet stets die Vergangenheit an ihnen. Schicksale, die in der Realität durchaus gängig sind und sich auf filmischen Boden in vereinfachter Form effektiv einsetzen lassen. Dieselbe Konvention scheint sich in Hans W. Geißendörfers „Perahim – Die zweite Chance“ zunächst ebenso abzuzeichnen. Der frei auf einem Roman von C. Virgil Gheorghiu basierende Film entlässt seinen Titel gebenden Charakter, auch Nero genannt, aus dem Gefängnis, wo er innerhalb seiner Strafzeit das Schreinerhandwerk gelernt hat und damit ein neues Leben in einer eigenen Werkstatt anfangen will. Das alte Wiener Milieu hat ihn jedoch nicht vergessen: Sein ehemaliger Komplize Bogini (Richard Münch) schüchtert ihn ein und Oberpolizeirat Josef Catran (Leon Askin) setzt ihm zu, indem er ihn als Spitzel gegen Bogini einsetzen will. Perahim möchte mit diesen Machenschaften nichts zu tun haben – doch die Kette an Intrigen und missglückten Zufällen zwingt ihn in einen Untergang.
Was sich nach geradlinigem Genrekino anhört, wird unter Geißendörfers Führung zu einer Charakterstudie, die sich von bekannten Wegen löst, die Trennung von Gut und Böse aushebelt und stattdessen einen Leidensweg entwirft, der eher bodenständiger Natur ist. Das heißt vor allem, dass die Inszenierung nicht überstilisiert und meist konkret bleibt, das Mitgefühl jedoch nie aus den Augen lässt, sofern es in den Charakteren zu finden ist. Figuren wie der Oberpolizeirat Catran kehren nämlich das Bild von der gerechten Polizei um und werden eher zum Drahtzieher des Schreckens, als dass es ein eigentlich designierter Fiesling vom Schlage Boginis schafft. Und wie es sich in Geißendörfers Werk stets abzeichnet, spielt auch hier die familiäre Kompetenz eine zentrale Rolle in der Beobachtung des Ensembles. Weder Catran noch Bogini können mit ihren Frauen umgehen und gleichsam, wie die Resozialisierung Perahims unter ständiger Kontrolle steht, wird in Catrans Haushalt der Problemfall aus dem Erziehungsheim, Anna, mit Schelte und Schlägen betreut. Anna wird im späteren Verlauf die einzige Bezugsperson und Hoffnung für Perahim, der sich zunächst noch eine Zukunft mit dem eigenen Sohn erhofft, der von seiner Existenz aber gar nichts weiß.
Perahim bleibt also die familiäre Zufriedenheit versagt, die den anderen egal geworden ist – durch und durch ein Underdog in trister Hinterhofatmosphäre. Denn selbst, als die Wiedervereinigung nahe ist, zerschlägt diese die Gegenseite mit einem Schicksalsschlag, der Geißendörfers „Die Eltern“ parallelisiert, aber aus umgekehrter Perspektive einfängt. Für Catran ergibt das ein leichtes Spiel, um Perahim auf seine Seite zu locken – doch der macht es niemandem einfach; sich selbst eingeschlossen. Seine Buße hört niemals auf und so kapselt er sich auch entschieden von Begleitern aus alten Tagen ab, allen voran der Nachtklubsängerin Rosa, welche ihn noch immer verzweifelt liebt, aber inzwischen zum Wrack mutiert ist. Perahims Abstand von jener Welt, die ihn immer wieder hineinzuziehen versucht, bringt aber auch das Humane in ihm hervor und zeigt Güte wie Anstand; selbst gegenüber solchen, die ihm in Hinterhalt an die Gurgel wollen. Die verletzt er zwar in Notwehr, ruft aber auch den Krankenwagen. Catran lässt dafür die Handschellen klicken, so verdreht ist die Moral jener Umstände und unnachgiebig in ihrer Verfolgung. Es wundert daher wenig, dass der Zusammenbruch bevorsteht und sich nicht aus der Konfrontation von Gut und Böse bildet.
Natürlich bedient Geißendörfers Film (unter anderem mit den Koautoren Bernd Eichinger und Uli Edel) kriminellen Flair, von Striptease-Tänzerinnen über explosive Verfolgungsjagden bis zu Mordanschlägen und einer Entführung mit vorgehaltener Pistole. All dies läuft jedoch genauso unaufgeregt ab wie der Rest des Films, der objektiv erzählt und seine Genre-Merkmale den Charakteren unterordnet statt andersherum. Da nimmt Geißendörfer schon in vielerlei Hinsicht die Grundprämisse seiner Serie „Lobster“ (1976) vorweg und konzentriert sich auf das Menschliche, auf Enttäuschungen und Zusammenhalt im eigentlich trivialen und doch profunden Drama unter Ganoven, Staatsdienern und Machtmenschen, die ihre Funktionen bis zur Verzerrung verinnerlicht oder satthaben. Daraus entsteht tragisches, vielschichtiges und unberechenbares Kino, das seinen Figuren verpflichtet ist und in seiner Dreidimensionalität fesselt, ohne die Lust am Medium Film zu vernachlässigen. Dieses selten gezeigte Werk hat sehr wohl eine zweite Chance verdient.
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