Wer Hayao Miyazaki kennt, weiß, dass er der wohl größte Fan des Fluges im Reich der Animations-Größen ist – Howard Hughes ging da sicherlich noch ein Stück weiter, aber die wahrhaftig zelebrierte Zauberhaftigkeit der Sache bleibt dem Mann vom Studio Ghibli vorbehalten. Die setzt er hier auch wieder vordergründig um, auch wenn er sie diesmal im Rahmen eines klassischen Fantasy-Abenteuers anfertigt. Dynamik und luftige Frische beherrschen von Anfang an das mediterrane Szenario, welches doch schon einigermaßen in der Realität geerdet ist und wahrhaftige, historische Ereignisse anspricht, aber diese freimütig-fantastisch umspielt. An der Adria der zwanziger Jahre verdient sich nämlich der Veteran Marco, allgemein als Porco Rosso bekannt, als rechtschaffener Auftrags-Kopfgeldjäger im ständigen Kampf/Wettbewerb mit den örtlichen Luftpiraten sein Geld. Der Trick bei der Sache: Er ist wortwörtlich ein humanoides Schwein, basierend auf einem Fluch, dessen Ursprung insofern suggeriert wird, dass Marco sich im Verlauf seines Lebens schlicht dafür entschieden hat – er ist nämlich auch ein abgeklärter und zurückgezogener Eigenbrötler, der durchwegs abgebrüht und bescheiden bleibt, nachdem er im Ersten Weltkrieg bei einem Gefecht seinen besten Freund verlor und aus Ehrgefühl seinem theoretischen Glück mit der dadurch verwitweten Ortsschönheit und Gasthausbesitzerin Gina, die seither auf ihn wartet, entsagte.

Er gehört eben auch zu einer vergangenen Zeit und lebt versteckt zwischen massiven Inselfelsen, doch der Ruhm des Piloten-Daseins ist in seinem Umfeld noch immer hoch im Kurs, speziell für Kinder und solche, die sich über die gewissenhafte Verteidigung ihrer selbst freuen. Die Piraten werden da ebenso nur noch leidlich als fürchterliche Gefahr gewertet, sondern als erwartete, drollige Antagonisten für den designierten Helden – ein Image, das ihnen selber nicht gerade zusagt, aber auch von Miyazaki durchaus so herzlich behandelt wird, wie es der eskapistischen Zeichentrick-Tradition entspricht (welche er bei einem Kinobesuch Porcos anhand eines abenteuerlichen Schwarz-Weiß-Cartoons empathisch-altbacken rekreiert). Da brechen alle gemeinsam stets akrobatisch-turbulente Manöver vom Stapel, sodass Begeisterung statt Terror das sonnige Gemüt erfüllt. Es ist eben eine richtig spannende Show für jung und alt, wie seit Ewigkeiten auch so auf der filmischen Ebene erdacht: die Schönheit und Energie des Fliegens. Doch dann kommt der machohafte amerikanische Pilot Curtis ins Spiel, der sich nicht nur an Gina ranmachen, sondern auch seine grenzenlose Kunstfertigkeit im Flug behaupten will und so schießt er Porco während dessen Fluges zur Generalüberholung seines Flugapparates nach Mailand ab. Tot ist unser Held aber noch lange nicht – Schwein gehabt! – doch nun muss er sich vorsichtig mit den Wrackteilen an den italienischen Faschisten vorbei schleichen, denn die haben’s nicht ganz so gern, wenn jemand nicht im Auftrag ihrer Regierung und Armee einfach so frei durch die Gegend fliegt. Doch wie meint er schon so ganz salopp: „Ich bin lieber Schwein als Faschist“.

Letztgenannte stellen folglich die grundböseste Eigenmacht des Films dar und lauern wie ein finsterer Schatten über dem ganzen Spaß, dringen aber nie wirklich gefährlich ein, werden letztendlich lediglich als plagender Umstand gewertet. Eine direkte, entschiedene Konfrontation à la Indiana Jones wäre da vielleicht auch nicht verkehrt gewesen, aber soweit möchte Miyazaki dann doch nicht die Weltgeschichte verändern oder ideologisch gewinnen. Dafür ist sein Protagonist auch viel zu eigen und auch nur unbewusst heroisch, um sich da einzumischen – das könnte man eher Curtis zutrauen. Doch die Melancholie von Tod und Verlust bleibt ebenso ein dies beeinflussender Faktor im Wirken Porcos – kein überwältigender, aber doch gefestigter. Diesen gründet er hauptsächlich auf eine bittersüße Vision vom Himmel, die er bei einem Luftgefecht bekam, in welcher er einen Strom an Flugzeugen von abgeschossenen Freunden und Feinden erblickte. Einerseits ist das ja ein versöhnliches und ehrenvolles Bild, das Miyazaki da erneut für das ewig-währende Wesen der Flugfähigen zeichnet, andererseits beherbergt dieses Unendlich-Geisterhafte dahinfließender Erinnerungen eine nicht zu verleugnende Tragik. Auf jeden Fall stellt es eine der eindringlichsten Sequenzen des Films dar. Aber bevor dieser in Selbstmitleid zerfällt, tritt der Enthusiasmus in Porcos Leben anhand der siebzehn-jährigen, frohmütigen Enkelin seines altbekannten Ingenieurs Piccolo, Fio, wieder ein, die ihn als Mechanikerin für sein Pflege-bedürftiges Flugzeug begleiten will (außerdem muss er noch Schulden für die Reparatur abbezahlen, da sein Vertrag zur Verteidigung der Adria abgelaufen ist). Die gesamte Piccolo-Familie hilft ihm ja sowieso aus, sowie der neue Motor mit der bezeichnenden Marke Ghibli oben drauf – Miyazaki und Co. wieder mal die Motivatoren schlechthin.

Mit Fio jedenfalls, die Porco nach eingängiger Skepsis im Verlauf immer freundschaftlicher anerkennt, schafft er es sodann zur Adria zurück. Doch die Piraten und Curtis lassen noch immer nicht locker, weshalb ein letztes großes Duell angesetzt wird. Gewinnt Porco, gibt es für ihn Geld und Ehre; gewinnt Curtis, darf dieser um die Hand von Fio anhalten, denn wenn er schon nicht Gina erobern kann, dann wenigstens sie. Curtis ist eben ein Eroberer – einer, der sich schnell verlieben kann und damit auf sein ihm zustehendes Glück drängt. Doch Porco behält stets die Oberhand, hält die Liebe seines Umfeldes inne, ohne sich daran zu vergnügen – liegt eben nicht in seiner Natur, denn er hat sich nun mal zum bloßen Schwein-Sein entschieden. So bleibt er in dem versierten Luft- und Faustkampf mit seinem Rivalen aus Trotz der Überlegene, doch den Preis dafür mag er gar nicht feiern oder wirklich einsacken, denn zum einen muss man schnell weg, da die Faschisten ihm wieder auf den Fersen sind und zum anderen schickt er Fio und auch Gina in die Sicherheit fort. Ob er letztendlich dem Ruf seiner ewigen Liebe folgt, wird nicht offen gelegt, scheint auch ziemlich ungewiss – was dennoch bleibt, ist die Anerkennung seiner Persönlichkeit für viele darauffolgende Jahre und die Erinnerung an alle aufregenden, gemeinsam gemeisterten Abenteuer, selbst bei Curtis. Miyazakis „Porco Rosso“ ist eben ein bescheidener Held – aber einer, dessen Charme man sich nicht entziehen kann und der auch geradezu mühelos seine dahingehenden Fähigkeiten spielen lässt, das Abenteuerliche schlicht lebt und sein eigener Herr ist. Da wirkt der Film um ihn herum ebenso euphorisch und einladend; das eigentliche Herz der Sache bleibt aber ein Stück weit distanziert, weil unaufgeregt. Doch Idole bleiben immer auch ein Stück geheimnisvoll und sperrig, ein würdiges Denkmal kann man ihnen trotzdem erbauen. Und solange es um den Zauber der Flugfahrt und der Fantasie der Animation geht, darf jeder bei Miyazaki diese Ehre erhalten.

Meinungen

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