Einmal träumte ich, zu träumen. Und aus dem Traum entwickelte sich Wissen, aus dem Wissen neues Bewusstsein und aus dem neuen Bewusstsein ein Märchen von der Freiheit – von jedermann, ob alt, jung, arm, reich. Denn eigentlich sind „alle Märchen nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist“ (Novalis). Selbst wenn manche Träume nur zu Albträumen taugen: Entführt werden wir immer, sofern wir denn entführt werden möchten. Jeder Traum unterliegt auch immer einer Wahl. Der Wahl zu träumen oder der Wahl nicht zu träumen. Manchmal ist diese Wahl jedoch nicht die unsere.

CEREALITY öffnete daher die Herzen seiner Redaktion, weil ein Mann abtritt, den ein ganzes rigoroses Universum (nicht nur an Cinephilen) in Zukunft sehr missen wird. Ein Abenteurer ist er, ein Märchenerzähler und Märchenentführer, ein Mann für die Kindheit und das Erwachsensein, einer, der Rußflöhe und mythische Erdgeister kreierte und uns doch immer im Bizarren und Grotesken ein Staunen und Raunen abrang, da sein somnambuler Geist nie stillstand. Hayao Miyazaki heißt dieser Mann, der gleichsam mit Isao Takahata Schöpfer des 1985 gegründeten Studio Ghibli ist. Beides aber soll nun zu Ende gehen. Wir jedoch möchten danken: für waghalsige Körperkünste des Verbrechens („Das Schloss des Cagliostro“, 1979), Kriegerinnen im apokalyptischen Meer der Fäulnis („Nausicaä aus dem Tal der Winde“, 1984), für Waisen und Luftpiraten auf der Suche nach der Weltheerschaft und nach einem schwebenden Königreich („Das Schloss im Himmel“, 1986), kauzig-flauschige Spielgesellen, die nur Kinderaugen sehen können („Mein Nachbar Totoro“, 1988), für kleine Hexen und ihre ungewöhnlichen Geschäftsideen („Kikis kleiner Lieferservice“, 1989), Kriegsveteranenschweine in Flugzeugen („Porco Rosso“, 1992), für Mensch und Natur im vermeintlichen Einklang („Prinzessin Mononoke“, 1997), Vergnügungsparks, in denen Badehäuser für acht Millionen Götter weilen („Chihiros Reise ins Zauberland“, 2001), für alte Frauen und junge Männer („Das wandelnde Schloss“, 2004), Goldfischmädchen, die das Gleichgewicht der Welt suchen („Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“, 2008) und zuletzt für die Fliegerei, die Freiheit und Liebe („Wie der Wind sich hebt“, 2013). Danke für alles!

Nach dem Frust kommt aber auch immer die Lust. Hier nun soll es die Lust an der Freude, am Spaß, an den Ekzemen der gehobenen Mundwinkel und den kratzig-quiekenden Lauten des Gefallens sein. Weil die Welt niemals über dasselbe lacht, formierten wir einen Humorreigen, der Ländergrenzen bricht. Allein der Globus genügte uns: So reisten wir in österreichische Schmäh („Der Knochenmann“), französisch-feudale Spielereien („Delicatessen“), in das Vereinigte Pythonisierte Königreich („Das Leben des Brian“) und nur ein Stück zum Schottenrock weiter („Angels’ Share“) hinüber in amerikanische Kulturwunder („Eins, zwei, drei“, „Das große Rennen um die Welt“), weiter nach Argentinien zum satirischen Episodenguide („Wild Tales“) und wieder zurück – über ein israelisches Orchester im Nirwana des Erfolgs („Die Band von nebenan“). Die Welt war uns noch nie genug.

So fühlen wir auch wie immer der kinematischen Mattscheibe unseres Gewissens nach: Fliegen wollen wir auf Drachen („Drachenzähmen leicht gemacht 2“), gegen gewaltlüsterne Fäuste („The Raid 2“), singen nur um des Geldes wegen („Jersey Boys“), tanzen („Jimmy’s Hall“), dichten („Viel Lärm um Nichts“), explodieren („The Expendables 3“), psychologisieren („Sag nicht, wer du bist!“), metamorphosieren („When Animals Dream“), bombardieren („Night Moves“), zu Robotern werden („Transformers 4 – Ära des Untergangs“), zu 100%-Menschen („Lucy“), zu Waschbären und Bäumen („Guardians of the Galaxy“), zu Gejagten des Kapitals („A Most Wanted Man“) und Gejagten des Ruhms („Maps to the Stars“), wir wollen wahre Väter und wahre Kinder sein („Like Father, Like Son“) und unseren Ursprung finden („I Origins“).

Und natürlich baden wir weiterhin in den Festivals, die die Welt bedeuten: nur eben nicht in Venedig (zu wenig Strand) und Toronto (zu viel Flug). Dafür beehren wir Deutschland umso mehr, wenn die Hansestadt Hamburg ihr Filmfestival auslotet und das Fantasy Filmfest durch die danach blutigen Städte tourt. Rinjehaun!

Wir danken Shelby Ann für die Bereitstellung des Covermotivs.

Meinungen

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