Schluss, aus, Ende. Wir schreiben das Jahr 1997 und Hayao Miyazaki gibt nach dem Abschluss von „Prinzessin Mononoke“ seinen Rücktritt bekannt. Er wolle jungen Filmemachern Platz machen. Und generell wäre so eine große Produktion jedes Mal unvorstellbar kräftezehrend. Eine Tochter von Freunden Miyazakis brachte den japanischen Meisterregisseur allerdings dazu, weiterzumachen. Die Kleine schien, obwohl ein sehr süßes und sympathisches Mädchen, ihren Eltern gegenüber seltsam distanziert zu sein: Die Idee für „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) war geboren. Wahrscheinlich wunderte sich Miyazaki schließlich selbst über den Erfolg des Filmes: Goldener Bär, Oscar, bis heute erfolgreichster Film aller Zeiten in Japan. Miyazaki war ganz oben, wenn er es nicht schon längst gewesen wäre. Und er wollte zum Glück nicht aufhören – auf Chihiro folgten die zauberhaften „Das wandelnde Schloss“ (2004) und „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“ (2008), dessen titelgebender Charakter ähnlich wie sein großer Freund Totoro in Japan ein Phänomen ist. Egal wo, Ponyo ist in Japan allgegenwärtig. Aber auch nach der liebreizenden Ponyo, die mit ihrem Freund Sōsuke das Meer unsicher macht, ging Miyazaki noch einmal tief in sich und fand den Stoff für seinen nun (wahrscheinlich) wirklich letzten Film.
Fliegen. Hayao Miyazakis große Liebe neben dem Filmemachen ist die Fliegerei. Vor allem Flugzeuge haben es ihm angetan. In seinen Filmen finden sich immer wieder prächtige Flugobjekte, die majestätisch über die Erde schweben. Egal, ob es die gigantische fliegende Insel Laputa in „Das Schloss im Himmel“ (1986) ist, der pfeilschnelle Gleiter von „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ (1984) oder die italienischen Kampfflugzeuge der zwanziger Jahre aus „Porco Rosso“ (1992): Geflogen wurde bei den meisten Ghibli-Produktionen Miyazakis. In „Wie der Wind sich hebt“ unterliegt er seiner Liebe für das Fliegen nun vollends. Jiro Hirokoshi ist der Name des Flugzeugingenieurs und Held der Geschichte. Jiros größter Traum war immer das Fliegen und sein Wunsch von klein auf ein Pilot zu sein. Leider ist Jiro extrem kurzsichtig und eine Karriere als Pilot kam für den jungen Mann deshalb leider nie in Frage. Doch seiner Leidenschaft gibt er sich in anderer Form hin: Er entwirft die Flieger auf Papier und entwickelt mit seinem Team Prototypen von Flugzeugen, welche die Welt verändern sollen. Höher, schneller, weiter. Ganz nach seinem italienischen Vorbild Giovanni Caproni wagt er sich an immer größere Projekte. Nur der Himmel ist die Grenze für Jiros Liebe zu seinen Flugzeugen. Aber genau wie für die Fliegerei entwickelt er auch für die junge Naoko Satomi starke Gefühle, die er bei einem Erdbeben trifft und rettet. Die beiden verbringen schöne Zeiten zusammen. Bis Naoko an Tuberkulose erkrankt und die Liebe der beiden sowie Jiros Arbeit dadurch auf eine harte Probe gestellt werden.
Wenn „Wie der Wind sich hebt“ dann endet und der Film mit seinem wunderschönen Abspann und einem Abschlusslied voller Liebe endet, weht ein Hauch von Schwermütigkeit durch das Kino. Hayao Miyazaki, welcher der Filmwelt immer wieder unglaublich persönliche und hinreißend emotionale Filme schenkte, hat nun wirklich seinen letzten Film abgeliefert. Wahrscheinlich ist „Wie der Wind sich hebt“ dieser eine Film von ihm, der sich am Stärksten an ein erwachsenes Publikum richtet. Aber obwohl die Charaktere erwachsen sind und es keine beschaulichen Fabelweisen in „Wie der Wind sich hebt“ gibt, ist es ein Film voller Magie und Wunder: Wenn sich Jiro und Naoko zum ersten Mal treffen, noch kein Wort miteinander gewechselt haben, aber der Zuschauer schon ein starkes Band zwischen den beiden zu sehen scheint, weiß man, dass Miyazaki inszenieren kann, wie kaum ein anderer es je vermochte. Er zeichnet seine Charaktere von der ersten Minute an liebenswert. Egal, ob Mädchen oder Junge, arm oder reich, traurig oder glücklich: Wir fühlen stets mit, verstehen, sorgen sich um sie. Als die schöne Naoko an Tuberkulose erkrankt, überträgt sich auch die unheimliche Angst Jiros um die junge Frau auf uns und wir verlieren uns spätestens hier vollends in diesem Meisterwerk. Doch bereits zuvor gibt es genug zu bestaunen: Der Zeichenstil, so simpel und wunderschön zugleich, lädt zum Träumen ein – man wünscht sich, häufiger solch detailverliebte Handwerkskunst sehen zu dürfen. Mit jedem Federstrich drängt Kraft aus diesem Film, ganz gleich ob ein Erdbeben Japan erschüttert oder nur eine leichte Windböe Naoko das Haar ins Gesicht weht.
Zu Ghibli und Miyazaki gehört auch immer Joe Hisaishi. Auf die fantastische Musik des Komponisten möchte man, auch wenn man sie nur einmal gehört hat, nicht mehr verzichten. Musik und Bilder haben sich die Hand selten so gut gereicht wie zwischen Studio Ghibli und Hisaishi. Die Musik drängt sich nie in den Vordergrund, sondern unterstreicht die Gefühle der Charaktere und fängt die bildlich gezeigten Momente noch einmal zusätzlich musikalisch perfekt ein. Als Joe Hisaishi zum 25-jährigen Bestehen von Studio Ghibli ein Konzert vor 14 000 Zuschauern gab, kam am Ende Hayao Miyazaki auf die Bühne und überreichte Joe Hisaishi unter Tränen einen Blumenstrauß, bedankte sich für die vielen gemeinsamen Jahre. Und ganz genau so würde man sich am liebsten selbst vom japanischen Anime-Meister verabschieden. Einfach nur danke sagen: Danke, für die Geschichten voller Fantasie und Liebe, danke für Charaktere wie Totoro oder Kiki und … natürlich danke für „Wie der Wind sich hebt“. Ein Abschlusswerk, das nicht besser hätte sein können.
Meinungen
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Bisherige Meinungen
Habe bei keinem neuen Film dieses Jahr so hart geflennt wie hier ♥ Deshalb auch jetzt nochmal: Bomben-Kritik!
Bester Film des Herzens. Sorry, Xavier Dolan. Gegen Flieger und die Kraft der Imagination kannst du mit deinen 25 Jahren eben doch (noch) nichts ausrichten.