Mit „Schatten im Paradies“ beginnt 1986 Aki Kaurismäkis proletarische Trilogie. Filme von Menschen, die sich hier und da, allein und unvollkommen, dem Leben stellen. Jene Menschen, deren einziger Zweck es ist, zu leben, ohne gesellschaftliche Verantwortung oder Leistung zu übernehmen. Sie sind einfach da und leben ihr teils erbärmliches, aber stets ehrliches Leben. Und meistens versuchen sie dabei nur eins: die Liebe und das Glück zu finden. Dem Proletariat, dem einfachen Menschen, haftet nichts Glamouröses oder Herausragendes an, sie sind unterdurchschnittlich und egal. Doch Kaurismäki macht sie zum Mittelpunkt seiner Geschichten und erzählt von Verlierern, Randexistenzen und gesellschaftlichen Außenseitern. Mittellos, einsam und verlassen – nicht nur von der Gesellschaft, deren Systemen und Mechanismen, sondern auch von sich selbst. Aufgegeben haben sie meistens, doch irgendwann kommen sie alle zurück ins Leben.
Die Tristesse des Alltags von Nikander (Matti Pellonpää), als Müllwagenfahrer, und Ilona (Kati Outinen), der arbeitslosen Supermarktkassiererin, ist am Höhepunkt angekommen. Keinerlei Perspektiven, nur das monotone, voranschreitende Leben bleibt beiden übrig. Als sie sich treffen, ändert sich für beide aber scheinbar alles: Sie verlieben sich ineinander. Eine Liebe, die sie aufleben, aber im dunklen Schatten der Gesellschaft immer wieder zurück in alte Gewohnheiten fallen lässt. Distanzen müssen durchbrochen und Gefühle zueinander aufrechterhalten werden.
Und dann, wenn sie beide auf der Schwelle des Hinterausgangs des Supermarktes sitzen, Nikander seinen Mut zusammennimmt und sie nach einer Verabredung fragt, kommt für beide das erste Mal seit langer Zeit wieder so etwas wie Licht in die schattigen Ecken ihres Lebens. Sonst distanziert sich Nikander, ob bewusst oder unbewusst, von jeglichen Einflüssen von außen. Doch hier sucht er die Nähe, den Kontakt, die Zuversicht in einer anderen Person. Sein stumpfer Blick, ohne das Leuchten eines glücklichen Mannes, macht das Verstehen seiner Verletzlichkeit und Angst einfacher, beinahe sofort nachvollziehbar. Er ist wie das von Kaurismäki dargestellte Helsinki: grau, trostlos, einsam, perspektivlos. Doch anders als Nikander hat Helsinki zwei Seiten. Während Nikander und Ilona ihr scheinbar trostloses Leben weiterleben, floriert Helsinki als Metropole und gibt den Reichen die Perspektive, die den Armen fehlt. Nikander und Ilona haben keine finanzielle Perspektive. Sie werden stets in ihrer Armut leben, in ihrer kleinen Wohnung, in ihren abgetragenen Klamotten. Doch die beiden haben ihre Menschlichkeit bewahrt, etwas, was von jeder finanziellen Armut befreit. Doch eben jene Menschlichkeit hat sie auch gebrochen. Ihre Annäherungsversuche sind distanziert und sie stehen weit voneinander entfernt. Der Weg zueinander ist ihr Ziel, doch laufen sie allzu oft in verschiedene Richtungen.
Unfähig, ihre Zuneigung füreinander auszuleben und gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen, die sie in persönlicher als auch allgemeiner Ebene einschränken, ist die Liebe zu Beginn zum Scheitern verurteilt. Ihre Zugehörigkeit wird durch die individuelle Eigenständigkeit und die Loyalität zueinander auf die Probe gestellt. Ist die Existenz wichtiger als die Erfüllung emotionaler Bedürfnisse? Diese Frage stellt sich Ilona mehrmals unbewusst. Einmal flieht sie mit Nikander über das Wochenende, dann versetzt sie ihn. Sie ist überfordert mit sich selbst, ihren Absichten und Möglichkeiten. Doch letztendlich findet sie ihre Erfüllung in dem, was sie schon lange hatte. Ihre Liebe ist nicht auf dem Fundament der sozialen beziehungsweise gesellschaftlichen Existenz gebaut, sondern definiert sich durch das Verständnis der beidseitigen Situation. Beide sind mittellos und einsam. Sie sind unwichtige Fußabtreter der restlichen Gesellschaft. Und doch sind es diese Leute, die in der Lage sind, vom Leben zu erzählen. Die Geschichten von Liebe und Hass, Verlieren und Gewinnen, sind Geschichten, die der kleine Mann aus der Einzimmerwohnung erlebt hat. Für sie scheint am nächsten Tag die Sonne, weil sie wissen, der nächste Tag wird so sein wie der vorherige. Doch es gibt etwas zu gewinnen, dessen Ausmaße für sie nicht zu ergründen sind, weil sie bereits verloren haben. Diese Marionetten des Lebens spielen auf der Bühne nur eine kleine Rolle, doch machen sie das Stück erst interessant.
Kaurismäkis lakonischer, distanzierter Stil passt zu seinem Helsinki. Die Kamera ist das Auge des Zuschauers, welches das Geschehen beobachtet, das seltene Lächeln Ilonas als Erstes sieht und noch vor den handelnden Personen erkennt, wann es für sie vorwärts und wann es für sie wieder einen Schritt zurückgeht. Kameramann Timo Salminen ist stiller Beobachter, der aus den Blicken der Charaktere alles schöpft, was wichtig für die narrative Entwicklung ist. Es gibt keinen persönlichen Bezug zu Ilona oder Nikander. Sie sind einfach nur da, leben ihr Leben und lassen sich beobachten. Fremde Gesichter von nebenan, doch vertraute Menschen im Herzen. Und doch sind die Protagonisten zu einseitig, zu distanziert – vielleicht zu sehr dem, was Kaurismäki immer macht, unterworfen: Ihre Distanz soll den lockeren Humor transportieren, doch bleibt der hier fast gänzlich der fehlenden Intimität unterworfen. Nikander ist ein verletzter, vom Leben gebeutelter Mann, doch seine Aggressionen sind deplatziert. Nur ein kalter Blick, der sich zu selten erwärmt.
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