Robert Kondos und Daisuke Tsutsumis „The Dam Keeper“ stand mit neun weiteren Filmen in der Vorauswahl für eine Nominierung bei den Oscars in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“ und wurde als einer von fünf Beiträgen nominiert.
Über der scheinbar mit Pastellkreide kreierten Kleinstadt von Robert Kondos und Daisuke ‚Dice’ Tsutsumis „The Dam Keeper“ thront – wie der Titel schon suggeriert – der große Damm, der sie vor der Finsternis des schwarzen Staubes schützt, aber nur durch die windige Energie des Mühlenrads wirklich im Sonnenlicht strahlen kann. An jener Mechanik tüftelt lediglich ein einziges kleines Schweinchen herum, das noch zur Schule geht, aber mit dieser Aufgabe eine ehrenhafte Tradition fortführt, welche bereits seit Generationen in Betrieb genommen wird. Und das, obwohl scheinbar kein Einwohner davon groß Notiz nimmt oder den alltäglichen Retter erkennt. Im Gegenteil, stattdessen muss unser Held wie jeder andere mit den Querelen des Schulalltags zurechtkommen, mit grantigen Lehrern und hänselnden Fieslingen gleichen Alters hadern. Ein unbedarfter junger Fuchs tastet sich jedoch an eine potenzielle Freundschaft ran – eine ungewohnte Angelegenheit, welche das scheue Schwein mit anfänglicher Skepsis beäugt.
Innerhalb der achtzehn Minuten Laufzeit entwickelt sich allerdings im märchenhaften, handkolorierten Zeichenstil eine liebevolle Fantasie vom Entdecken der Gemeinsamkeit. In den Fokus gerät dabei die Reintegration des bloßen, aber lebenswichtigen Zuspruchs der Hilfe und Sympathie eines Gegenübers im Herzen. Bezeichnend für diesen Film, der sich in jedem Einzelbild mit raschelnden Farben zu einem Hort der Gefühle und Talente seiner Erschaffer aufballt, finden der Fuchs und das Schwein ihr Ventil der Freundschaft im Zeichnen und Malen. Der Zauber des Schaffensprozesses in der Zusammenarbeit gilt dabei der Verarbeitung, natürlich im Angesicht persönlicher Schwierigkeiten, doch ebenso für die Freude über die Existenz des Partners. Man vertraut sich, lacht, macht sich auch mal gerne dreckig und ist stets füreinander da. Doch auch dieser euphorische Halt zueinander droht aus dem Nichts zu zerbrechen, sobald man sich aufgrund gewisser Umstände betrogen fühlt.
Auf ganz simplen Wegen vermitteln die Regisseure Kondo und Tsutsumi dabei die schleichende und bittere Angst des Verlusts. Gänzlich ohne Dialoge, aber voll mit effektiven Blicken und Eindrücken der emotionalen Erfahrung in jener vermenschlichten Tierwelt, zerbricht in individuellen Perspektiven einer Falschheit die Seele des uns (schnell) tief verbundenen Protagonisten. Die Dunkelheit der Enttäuschung und Einsamkeit steigt in ihm auf und manifestiert sich zudem parallel am Damm in der flutenden Wolke aus schwarzem Staub. Er lässt sie jedoch entgegen seiner Verantwortung über sich und seine Stadt ergehen und kapselt sich mit seiner Atemmaske ab – gebrochene Herzen verlieren nun mal den Antrieb des Lebens; hier in der niederschmetternden Deutlichkeit verhüllter Farben, Lichter und Gefühle visualisiert. In jener Verzweiflung bleibt einem aber meist doch nur die Rückkehr zum bisherigen Alltag, ohne die Kraft des Freundes, wobei es im bleischweren Versuch des inneren Abhakens anstrengender von statten geht als zuvor.
Denn wie man auch mühsam voranschreitet und das Gelingen auf eigene Faust wiedererlangen will: Die Narben bleiben, auch an der Mühle. Eine Regeneration unter solchen Umständen lässt sich für die gesamte Stadt nicht wirklich vorantreiben. Aber im Rückblick, mit neuer Perspektive, erscheint doch noch eine Auflösung abseits des stürmischen ersten Eindruckes. Und unser Schwein fasst mit neuer Hoffnung die Rückkehr zur entglittenen Freundschaft, die mit Selbstverständlichkeit schon bereitsteht. Diese wärmende, universelle Klimax des Weitermachens, im gemeinsamen Einvernehmen und unausgesprochenem Verzeihen durch Treue, gelingt deshalb so wirksam, da der Film die Komplexität der Gefühlswelt auf solch eine kongenial einfache Sprache herunter bricht und mit organischer Visualität zum Leben erweckt. Und das liegt zu einem nicht unwesentlichen Teil nun einmal daran, dass hier ambitionierte Handarbeit dahintersteckt und sich in den äußerlichen und inneren Handlungen des Films und seiner Charaktere niederschlägt. Es entsteht eine Pracht, die sofort einlädt, ihre Mechanismen mit angenehmer Bescheidenheit zeigt und ohne manierliche Forderung oder groß angelegte Verklärung nachvollziehbar macht.
Sie birgt dabei nicht wirklich das Vorbestimmte und Schicksalhafte eines Disney-Epos und auch nur zu einem gewissen Anteil die Unbekümmertheit einer Studio-Ghibli-Produktion, obwohl beide Filmemacher in der Vergangenheit bei Pixar gearbeitet haben und ‚Dice’ zumindest mit der Nichte von Hayao Miyazaki verheiratet ist. Allerdings erreichen sie dahin gehend eine Balance des narrativen Verständnisses, wie es die zwei Freunde im Film auch zusammen anstreben. Genauer gesagt treffen sie präzise den Nerv eines jeden Zuschauers damit, dass niemand wirklich allein bleiben, einsam leben will. Wir brauchen uns alle, denn wir alle leben gemeinsam auf diesem Planeten. Und in jedem von uns wohnt eine Seele – doch ohne die anderen kann nur Dunkelheit geboren werden. Zusammen aber kann ein Licht der Hoffnung scheinen, je nach Lage heller oder gedämpfter, aber einmal entfesselt, bleibt es erhalten – wie beim Urknall.
Hayao Miyazaki fragte einmal, ob wir uns im Laufe der Zeit verändern – ob wir mit achtzehn Jahren ein anderer Mensch sind als mit sechzig. Die Antwort ist simpel: Wir bleiben dieselben. Fragil, sehnsüchtig, naiv; aber immer träumend mit einem sehenden und einem blinden Auge von den Entdeckungen, die sich manchmal in der Welt auftun, obwohl für sie zuvor gar kein Platz geschaffen wurde. Robert Kondo und Daisuke Tsutsumi füllen diesen mystischen Ort mit der leuchtenden Unruhe eines Vermeers und fordern zunächst alles Überschwängliche ein, bis im Moment des Glücks auch die Dunkelheit ausbricht. Die Hoffnung aber bleibt. Welche Fantasien „The Dam Keeper“ letztlich animiert, ist nicht mehr konkret in Worte zu fassen. Hier entsteht eine Zukunft, eine Oase, ein Gummiboot für die Seele. Je länger der Film dauert, umso mehr Lebensluft füllt ihn – und umso mehr Luft transportiert er auch. Noch schöner jedoch, dass wir meinen, ihn selbst ein wenig aufzublasen. In zäher, fisseliger Handarbeit. Ohne an der Nase herumgeführt zu werden und staunen zu müssen. Es ist kein: „Oh, sieh mal da!“ Es ist keine Sensation, vor der wir einmal stehen bleiben und dann nie wieder, weil sie uns längst langweilt. Sondern ein kindliches Glucksen. Ein Laut des Erwachens.
Der Film vermittelt all dies und noch viel mehr in einer Laufzeit, für die manche medialen Werke, ihre Künstler und Förderer Stunden des Erzählens sowie Jahre der Erkenntnis brauchen, aber deren Methoden ebenso keineswegs falsch sind. Denn sie kreieren so oder so das Licht, welches auch in diesem Werk die Welt und ihre Bewohner im Innersten zusammenhält, erblühen lässt und aus dem finsteren Staub zieht: die Freundschaft. Und „The Dam Keeper“ ist in der Hinsicht ein einmaliger und bewegend-unterstützender BFF. So manch ein Nebel lichtet sich danach.
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