Ob er Mensch oder Maschine sei? Alan Turing sitzt in einem Verhörzimmer, presst den Rücken an die Lehne eines Stuhls und stellt seinem Gegenüber diese Frage, wie ein Mathematiker eben eine präzise Beweisführung fordert. Das Gegenüber heißt Robert Nock, lichtes Haar, pummliger Körper, Schweißkristalle auf der Stirn. Nichts weiter als eine unsägliche, selbst für einen Film minder motivierte Randfigur. Und gerade sie soll beantworten, wer Turing war und warum die Antwort jener Frage überhaupt eine Rolle spielt? Ein dramaturgischer Kniff von der Zukunft in die Vergangenheit, äußerst klassisch, wenig schicklich. So gänzlich im Stile des stereotypen Biografienbaukastens, dass es für das Narrativ weniger Verheißung als blanke Angst um das Kommende bedeutet. Fortan ignoriert Morten Tyldum in seinem englischsprachigen Debüt das Quietschen und Knarzen des Genres aber ebenso arrogant wie elegant; viel steckt im Mobiliar schließlich nicht, was da Laute verursachen könnte. Erstere Frage jedoch öffnet nach Michael Apteds wüster Schnüffelromanze „Enigma – Das Geheimnis“ dennoch endlich eine Geschichte über den Menschen Turing, die mit unorthodoxer Raffinesse und Charme erzählt, was die britische Regierung fünfzig Jahre geheim hielt: Alan Turing war ein Held. Und Benedict Cumberbatch zerrt aus dieser wenig kontroversen Tatsache alles Schauspiel, welches die besten Darsteller zeitlebens zu bieten haben. Einen Baukasten dafür gibt es nicht – und auch keine Konvention.

Aufgrund des eingangs erwähnten Tests – spätere Generationen kennen ihn spezifisch als Turing-Test – nennt Tyldum seinen Film „The Imitation Game“ und nimmt die Rationalität seines Protagonisten zum Anlass, eben jenes Spiel der Imitationen in seinen Charakter einzuweben. Die Imitation Mensch ist aber gleichwohl eine Provokation und weniger Plagiat als hölzerne Kopie: ein Pinocchio an logischen Fäden. Dazu zählt auch Turing, der sich mit Albert Einstein und Isaac Newton vermutlich nicht nur die wissenschaftliche Intelligenz teilte, sondern weiterhin die Diagnose Asperger – das „Rain Man“-Phänomen. Auch Tyldum stützt sich nach Andrew Hodges’ Biografie „Alan Turing, Enigma“ auf diese These und inszeniert ihn als asozialen Tyrann ohne Seifenkiste, Humor und zwischenmenschliche Routine, als Mathematiker mit Knacks und seit Kindesbeinen ungewöhnlichen Lösungswegen. Amüsant, wie Turing sich in der scheinbaren Radiofabrik Bletchley Park geradezu selbst unter Kommandeur Alastair Denniston als Kryptoanalytiker für die Dechiffrierung der Enigma einstellt; Winston Churchill schreibt, er solle ihn zum Chef der Operation machen; und den Kollegen irgendwann einen Apfel zur Versöhnung reicht, weil es sich mit der Unterstützung dieser doch schneller arbeiten lässt. Sinn und Zweck seiner Taten? Den Code lösen, den niemand lösen kann. Was dazu führt, dass diesen Mann der Geheimhaltung wegen niemand kennt. Alan Turing? Ein Name, bei dem höchstens Informatiker schwelgen.

Die Effektivität von „The Imitation Game“ wiegt dabei in Benedict Cumberbatchs Interpretation eines homosexuellen Mannes, den es nach außen hin nicht schert, ob und wer ihn ausstehen kann, doch später innerlich zerbricht, als er wegen „grober Unzucht und sexueller Perversion“ angeklagt wird und statt einer Gefängnisstrafe eine Hormontherapie vorzieht. Mit anderen Worten: chemische Kastration. Das Wagnis Emanzipation fordert seine Opfer. Der Staat bricht seine Kinder. Und Cumberbatch wechselt von reservierter Distanz zu verzweifelter Depression. Doch wie Morten Tyldum gar alles in puncto Zweiter Weltkrieg (bis hin zu Spezialeffekten und Ausstattung) ausschließlich hinterrücks in seinen Film integriert, bedarf eines fürsorglichen Prozesses, welcher sich der Präsenz seines Protagonisten und dessen Schauspielers immens sicher ist. Ein radikales wie konservatives Drehbuch des Debütanten Graham Moore schließt den Kreis – und ist dort James Marshs „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ über Stephen Hawking (immerhin wie Turing ein Abkömmling Cambridges) ganz nah, den ebenfalls eine zirkuläre Wucht öffnet. „The Imitation Game“ vergisst allerdings nie die Frage, ob Maschinen denken können. So rattern schon mal im Stakkato die Walzensätze der elektromechanischen Bombe, welche über Relais und Schaltkreise die Tagesschlüssel der Enigma entschlüsseln soll. Darüber nur das Piano Alexandre Desplats. Im Film hilft letztlich ein Zufall zur Lösung. Clever für die Dramaturgie – doch eigentlich unnötig.

Alan Turing liebte schließlich Sport und Äpfel, aber hasste Konventionen. Morten Tyldum ebenso. Deswegen ist sein „The Imitation Game“ auch kein gänzlich mit Cyanid vergifteter Mythos, für den es Zeit war, wie für alles im Martyrium Film irgendwann Zeit ist. Sondern eine Dechiffriermaschine aus humanen Gesten, deren Analytik mit eindimensionaler Komplexität nur ein Muster vorgibt: den Menschen. Weil der Name Alan Turing nicht nur einer sein sollte, bei dem höchstens Informatiker schwelgen.

Meinungen

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