Jeremy Renner, Marion Cotillard, Joaquin Phoenix. Was sich auf den ersten Blick wie die Besetzung eines typischen Oscar-Anwärters liest, ist im Falle von „The Immigrant“ ein nicht mal in den deutschen Kinos gestarteter Film, dessen kaum vorhandene Vermarktung ihn beinah in der Versenkung untergehen ließ. Das wäre allerdings einigermaßen schade. James Grays fünfte Regiearbeit hat zwar deutliche Mängel, bietet aber eine klassisch dargebrachte Geschichte mit starken schauspielerischen Leistungen.

New York in den zwanziger Jahren: Die Polin Ewa Cybulski (Marion Cotillard) versucht gemeinsam mit ihrer Schwester Magda in die USA zu gelangen. Auf der Suche nach dem gemeinsamen American Dream werden die beiden Schwestern aber alsbald getrennt: Die kranke Magda darf vorerst nicht einreisen und wird im Krankenhaus behalten. Ewa hingegen wird von dem dubiosen Gentleman Bruno (Joaquin Phoenix) bei sich aufgenommen, der ihr baldiges Geld verspricht, mit dem sie ihre Schwester freikaufen kann. Der Haken: Er zwingt Ewa zur Prostitution. Wohl wissend, dass dies ihre einzige Chance ist, an Geld zu kommen, gibt sich Ewa nach einigem Erwehren dieser Option hin. Als Bruno dann auch noch Gefühle für Ewa entwickelt und dessen Cousin Orlando (Jeremy Renner) ebenfalls ins Spiel kommt, nehmen die Dinge einen dramatischen Lauf.

Recht klassisch – ja, fast schon antiquiert – liest sich die Geschichte von „The Immigrant“. Es ist ein Stoff, den man so oder so ähnlich schon zuhauf gesehen hat, schon vor Jahrzehnten. Eine ganz große Geschichte ist das nicht – und das Schicksal von Ewa ist sicherlich kein Einzelfall. Die Themen sind ebenfalls altbekannt, aber immer wieder spannend, da zeitlos: Verrat, Macht, Eifersucht und das liebe Geld spielen hier zentrale Rollen. Auch in seinem Stil wirkt der Film altmodisch und unaufgeregt: Gediegen erzählt mit stimmungsvollen Sets, schicken Bildern und einer nahezu kompletten Fixierung auf seine Schauspieler. „The Immigrant“ fällt irgendwie aus der Zeit. Das kann man als langweilig auffassen, andererseits hat diese Darstellung einen gewissen Charme, dem man als Zuschauer durchaus erliegen kann. Es hat schon etwas Schwelgerisches, wie James Gray sein kleines Drama erzählt.

Die Probleme liegen derweil an genau den Stellen, die einem Drama das Genick brechen können: Zwar sind die Schauspieler von großer Klasse – allen voran Joaquin Phoenix brilliert einmal mehr in seiner Rolle des zuweilen fiesen, aber auch zerbrechlichen Zuhälters Bruno ­–, doch die Figuren, die sie darstellen, hätten mehr Tiefgang vertragen. Marion Cotillards Ewa ist wortkarg und recht verschlossen – in ihrer Lage sicherlich nachvollziehbar. Dadurch entwickelt sich aber eine gewisse Distanz zum Zuschauer, die aus dramaturgischer Sicht negativ ins Gewicht fällt. Jeremy Renner hat nur recht wenig Zeit, seinem Charakter Profil zu verleihen. Auch wenn sein Auftreten für eine gewisse Spannung zwischen den Figuren sorgt, hätte seinem Orlando etwas mehr Background gut getan. Ein wirklich emotionaler Höhepunkt bleibt in „The Immigrant“ ebenfalls aus. Das ist in seiner allgemeinen Unaufgeregtheit ziemlich konsequent, aber auch eine vertane Chance. Der Film plätschert zuweilen vor sich hin und man schaut ihm durchaus gerne dabei zu. Aber wirklich gepackt wird man nicht. Die großen Themen werden angerissen, aber auch wieder fallen gelassen. Seltsam passiv, das Ganze.

So bleibt James Grays Drama am Ende ein Stück Zelluloid, das so viel mehr hätte sein können. Die Ausstattung ist toll, die Schauspieler agieren auf hohem Niveau und seine Themen sind – altmodisch hin oder her – von zeitloser Spannung. Gray schafft es allerdings nicht, dieses Potenzial voll auszuschöpfen. Zu ziellos, unentschlossen und zu oberflächlich betrachtet er seine Figuren im Endeffekt. Viele seiner Ansätze wirken unausgegoren. Ein Film, den man sich gut anschauen kann, bei dem aber auf Dauer leider zu wenig hängen bleibt. „The Immigrant“ lohnt sich dennoch, allein wegen Joaquin Phoenix und den netten Bildern. Immerhin.

Meinungen

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