Wer kennt sie nicht, die waschechten Werke des alten Hollywoods über die Femme fatale? Jene weibliche Gefahr war der Trumpf eines jeden guten Film noir, da verhält es sich bei „Todsünde“ nicht anders. John M. Stahls Beispiel einer höchst eifersüchtigen und mörderischen Frau ist auch vergleichbar mit anderen kontemporären Genre-Klassikern, wenn man zum Beispiel Joan Crawfords Lebenswerk betrachtet. Aber da deckt dieser Film nur die Oberfläche der Ähnlichkeit ab, stilistisch stellt er hingegen einen prägnanten Wandel dar. So ist das Prozedere in glänzendes Technicolor eingebunden, was reizvoll in der Betrachtung der Umwelt und den darin umhersuchenden Menschen wirkt, aber dennoch ein strahlender Trugschluss ist, der verbirgt, was in Ellen Berent (Gene Tierney) schlummert. Diese sucht in der Liebe zu ihrem Ehemann und Vaterersatz, dem Schriftsteller Robert Harland (Cornel Wilde), derart egoistisch nach Aufmerksamkeit, dass sie jedermann feindlich gesonnen ist und schließlich selbstsüchtige Mordpläne vollzieht.

Regisseur Stahl adaptiert aber nicht bloß die Reißer-Qualität des schon 1945 nur bedingt frischen Ambientes eins zu eins in die farbige Ära. Stattdessen unternimmt er einen Fortschritt in die Kompromisslosigkeit, welcher aus der klaren Charakterzeichnung in naturalistischen Farben eine Selbstverständlichkeit zur Darstellung menschlicher Brutalität bewirkt. Symbolisch dafür sei jene berühmte Szene genannt, in welcher Ellen ihr Opfer mit kalter Miene dem Ertrinkungstod überlässt. Kein melodramatischer Score vermittelt hier die Spannung, sondern der objektive Schrecken der Bilder, Blicke und Hilfeschreie im Kampf gegen das Schweigen. Nicht nur vom Plot trifft einen der Wendepunkt; man kann auch davon ausgehen, dass die Szene an sich in der Filmwelt ein starkes Zeichen setzte und eine entscheidende Richtung für alle nachfolgenden Thriller überhaupt einschlug. Darin arbeitet der Film schon seiner Zeit voraus, wirkt erwachsener und radikaler als die meisten seiner Zeitgenossen, obwohl sein Narrativ weiterhin auf gutherzige Moral drängt und diese schließlich auch gewinnen lässt.

Im Vordergrund steht aber weiterhin das Konkrete, welches die Leinwand Monolithen gleich einnimmt und selbst in Farbe seine unmissverständlichen Schatten durch die malerischen Americana zwischen Bergen, Tälern und Seen wirft. Gene Tierney allein fasziniert schon mit emotionaler Komplexität – Cornel Wilde und Jeanne Crain geben da als empathische und menschlichere Opfer ihrerseits eine gefälligere Projektionsfläche ab, können aber offensichtlich nur schwer dagegen halten. Doch selbst der in gerade mal zwei Szenen agierende Vincent Price strahlt eine Strenge und Präsenz aus, die selbst aus der obligatorischen Gerichtsverhandlung im dritten Akt zackiges Spannungskino kreiert. Da braucht Regisseur Stahl die Kamera manchmal sogar Minuten lang nicht zu bewegen, findet er sich doch nicht nur anhand der Farben in einem Realismus wieder, der letzten Endes doch noch von filmischer Hand abgelöst werden muss, da es wohl sonst für damalige Zuschauer irgendwann zu viel gewesen wäre.

Vollkommen konsequent darf Stahl wohl doch nicht sein. Was er jedoch im Verlauf des Films probiert, hinterlässt intensive Spuren und zwingt dazu, immer noch mal einen vergewissernden Blick hinter sich zu wagen. Sein Werk ist nämlich im Ansatz genauso unberechenbar wie die sündige Ellen, welche selbst im Leben nach dem Tod alle Stränge in der Hand halten und loslassen kann, wenn sie will. Rundherum ergibt das einen geradezu gefährlichen Film: grell in den Farben und doch so abgrundtief finster, jedoch nicht frei von Empathie – wobei mit jenem emotionalen Verständnis eher die brutale Leidenschaft seines Sujets untermauert wird. Niemand wird es mit dieser Frau aufnehmen können, nicht mal Vincent Price. Doch der Blick zu ihr hinauf bleibt auch nach über siebzig Jahren ein besonders sehenswerter. Live and in color!

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Todsünde“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.