Unbeschwert und leichtfüßig treten wir bei „Tu dors Nicole“ hinein in die jugendliche Abhängzone der noch bei ihren Eltern wohnenden, kanadischen Traumtänzerin Nicole (Julianne Côté). In meist stationärem, doch stimmungsvollem Schwarz-Weiß steht bei ihr jetzt der Sommer an; zudem hat sie sturmfrei und plant daher trotz tristem Minijob im Kleidungsgeschäft ausreichend Freizeit mit ihrer Freundin Véronique (Catherine St-Laurent), bis hin zu einer Reise nach Island. Hat man da was Bestimmtes vor? Nicht, dass sie wüsste – das bloße, ungehemmte Chillen wird aber schon reichen und lädt im Verlauf des Films zum überwiegenden Genuss der unaufgeregten Luftigkeit ein. Arg wenig Ruhe bleibt den Beiden jedoch, als sich die Band von Nicoles Bruder Pat (Simon Larouche) im Haus zum Proben ungefragt einquartiert und sie damit schleichend, aber sicher um den Schlaf bringt.

Den Anderen setzt dies offenbar nicht derartig zu, Regisseur Stéphane Lafleur bleibt stattdessen dabei, seinem lockeren Ensemble freimütig-pointiert durch den Tag zu helfen und auch einige kleine romantische Ansätze einzuverleiben, während in minimalen, aber effektiven Dosen surrealistischer Humor vordringt (siehe den jungen Verehrer Nicoles, der sich à la „Zwiebel-Jack räumt auf“ im urkomischen Stimmbruch befindet) und die reizvolle Atmosphäre der Nacht erkundet wird – inklusive urigen Einblicken in die suburbane Nachbarschaft und warmen Lichtstrahlen des Morgengrauens in der gemütlich-kontrastierten Dunkelheit. Für Nicole jedoch verläuft sich dieses Leben in die Leere: So starrt sie schon vergebens in bizarr angeordnete Scheinwerfer und folgt merkwürdig fahrenden Autos, um womöglich die Andeutung übernatürlicher Erfahrungen aufzuschnappen. Letztendlich entmystifiziert sich alles immer als gemächliche Bodenständigkeit, bietet ihr aber im Gegenzug einige Minuten des Schlafes.

Zudem erhält sie aber von allen Seiten Eindrücke, dass jeder im Gegensatz zu ihr (wie zuletzt in Noah Baumbachs „Frances Ha“) erwachsen geworden oder besser gesagt erwacht ist, ein Ziel beziehungsweise eine Liebe für sich gefunden hat, sich auch selbstständig versorgt, während sie noch der unidealistischen Freiheit der Jugend hinterher schlurft, Hauspflanzen mit Orangensaft bewässert und insgeheim frustriert dem Verflossenen nachjammert. Da klopft das Coming-of-Age im Takt an ihre Tür, mit Bassdrum und Snare, während auch ihre Gäste der Verantwortung einer gereiften Realität trotz der musikalischen Freizeitgestaltung den Vorzug geben und sie schließlich nur noch alleine dasteht. Bezeichnenderweise macht auch das Schloss zu ihrem Ventil der Eigensinnigkeit, dem Fahrrad, im Verlauf nur noch Zicken. Und dann werden auch noch Geld und Freundschaft knapp. Alles scheint sich gegen sie zu verschwören – der Einzige, der zu ihrer Mentalität hält, ist nun der kleine Nachbarsjunge mit der gewandelten Stimme; bei ihm darf sie dann auch als Kindskopf gnädig einschlafen.

Dort fühlt sie sich wiederum doch noch bestätigt, aber umso wütender, sobald sie erkennt, wie alle anderen Faktoren scheinbar unwissend, dennoch ernüchternd, ihren Traum versaut haben. Es folgt die rauschhafte Eskalation, ein überdimensionaler Wasserausbruch und der (theoretisch-metaphysische) Kindlichkeits-Triumph. Wäre ja auch etwas unsinnig vom Film, seine entspannte Haltung hinterrücks zu verurteilen – klar lässt er die Zeichen dagegen mit leicht verbitterter Verklärung aufblitzen, doch umspielt sie mit inszenatorischem Spielspaß, der auch einer festen Dramaturgie weitgehend fern bleibt. Daraus kreiert „Tu dors Nicole“ zwar eine drollige Naivität des Nichts-Tuns, macht sich aber auch nicht über sie lustig oder setzt ihr grausam zu. Man darf es eben doch noch mal ein bisschen ruhiger angehen lassen und schlicht die Unbekümmertheit genießen. Ein äußerst sympathisches Statement in Filmform.

Meinungen

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