In der Welt eines Musicals müsste man leben. Seiner großen Liebe mittels eines Liedes alles sagen oder seine gute Laune, zusammen mit einer Schar von anderen Leuten, einfach herausträllern. Im Musical ist alles erlaubt. Genau das macht diese Art von Film so sympathisch, weil sie sich nicht an ihr auferlegte Grenzen und Regeln halten muss, sondern machen kann, was sie will. Egal, ob als Komödie, Drama oder Horrorfilm: Ein Musical kann letztlich immer funktionieren. Als Animationsfilm findet das Musical zwar nach wie vor eine Existenzberechtigung, aber große Spielfilmproduktionen, in denen ein Song an den nächsten gereiht wird, sind selten geworden. Zwar gibt es auch heutzutage noch viele Musikfilme, doch drehen sich diese eher um akrobatische Einlagen wie in der „Step up“-Reihe. „Annie“ ändert dies. Mit der Neuauflage des weltbekannten Broadway-Stücks gehen Columbia Pictures und Sony nämlich auf Nummer sicher und wagen gleichzeitig doch etwas.
Will Glucks Adaption beginnt frech: Der alte Rotschopf Annie hat ausgedient und wird dementsprechend bei einer Präsentation vor der Klasse mit einem Mitleidsapplaus in die Schulferien entlassen. Aber hey, wer ist das? Eine neue Annie (Quvenzhané Wallis) darf ihren Aufsatz präsentieren. Auch ein süßer Fratz: schwarz, verschmitzt und auf dem Kopf noch verwuschelter als die alte Annie. Ihr Vortrag vor der Klasse geht knapp eine Minute, begeistert Mitschüler und Lehrer und ist der Auftakt zu einem turbulenten Film, der viel mehr Herz hat, als anfangs denkbar. Der Rest der Geschichte ist ebenso bekannt wie schnell erzählt: Annie ist ein Pflegekind und muss zusammen mit anderen Leidgenossinnen irgendwie mit ihrer tyrannischen Pflegemutter zurechtkommen. Die sorglose Annie träumt aber von einem Leben mit ihren leiblichen Eltern, die sie mit vier Jahren ausgesetzt haben. Das wird auch ganz bestimmt nicht der Multimillionär und angehende Bürgermeister Will Stacks (Jamie Foxx) ändern, der mit dem Pflegekind Annie sein Image aufpolieren möchte. Oder?
Der Ausgang dessen ist selbst ohne Kenntnis der Vorlage früh klar. Geschichten dieser Art sind eben alt wie das Medium selbst und funktionieren dennoch ausgezeichnet. Es ist vor allem süß, mit anzusehen, wie die schrullige Annie es schafft, das Herz des mürrischen Stacks’ zu gewinnen, besonders, da Jamie Foxx und Shootingstar Quvenzhané Wallis ein tolles Filmpaar abgeben. Trotz all des süßen Zuckergusses gerät „Annie“ jedoch immer wieder ins Straucheln, da die nur mäßig gelungenen Musical-Sequenzen leidlich fruchten. Im Musical mag alles erlaubt sein – aber „Annie“ macht nicht alles; weshalb beinahe jede Gesangseinlage hinter dem zurückbleibt, was sie hätte sein können. Beispielhaft dafür ist ein Moment, als Annies Pflegemutter und ein Berater Stacks’ einen fiesen Plan aushecken, um Annie und Stacks auseinander zu bringen. Die Location ist eine gut gefüllte Bar und die beiden fangen schnell an, ihren bösen Plan durch die Gegend zu singen und miteinander das Tanzbein zu schwingen. Aber singen und tanzen sie alleine. Die anderen Besucher der Bar gehen ihren eigenen Dingen nach. Warum fangen sie nicht mit an zu tanzen, zu singen, sich aus dramaturgischer Freiheit mit an diesem Plan zu beteiligen? Viele der Einlagen in „Annie“ wirken dementsprechend. Und man sehnt sich nach modernen Musicalhits wie Disneys „Verwünscht“, in dem Amy Adams in einer fantastischen Gesangseinlage den gesamten Central Park zum Singen und Tanzen brachte.
So bleibt ein fader Nachgeschmack, weil „Annie“ nicht ähnlich fantastisch ist, wie er hätte sein können. Aber schlecht gelaunt den Kinosaal verlassen? Das geht auch nicht. Denn am Ende lächelt Quvenzhané Wallis noch einmal in die Kamera – und, verdammt noch mal, ist das ein süßer, sonniger Fratz.
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