Die „Verfehlung“ offenbart sich bereits im Titel – doch ebenso offenbart sie sich in den ersten Bildern, die weltliche Vergnügen zeigen: Fußball, Spiel, Bier, Schnaps. Dazwischen Jubel, schweißige Umarmungen, die Hand auf der Schulter des anderen; innig, liebevoll, freundschaftlich. Nur die silbernen Kreuze am Revers, die schwarzen Kollarhemden mit weißen Einsatzkrägen irritieren. Die katholischen Priester heutzutage, will Regisseur Gerd Schneider unvermittelt sagen, sie strafen sich keiner strengen Observanz mehr, sondern verstehen das Leben mit Gott in erster Linie als Leben, das sich zwar institutioneller Strenge unterwirft, doch mittlerweile keine Schmach mehr fühlen muss, wenn es sich der Unterhaltung des normalen Volkes verdingt. Die drei Männer, welche sich zu Beginn in kameradschaftlicher Einigkeit verausgaben, stimmen dieser Entwicklung zu. Während Jakob (Sebastian Blomberg) als Seelsorger im Gefängnis für Antiaggressionsseminare zuständig ist, steuert Oliver (Jan Messutat) eine steile Karriere im Bistum an. Dominik (Kai Schumann) hingegen leitet eine Gemeinde und sorgt sich insbesondere um sozial benachteiligte Heranwachsende in der Jugendfreizeit. Seine Sorge ist es auch, die alsbald zwei Polizisten zur gemeinsamen Messe mit Jakob in der Sakristei auftreten lässt. Der Priester landet in Untersuchungshaft, weil er einen seiner minderjährigen Schützlinge missbraucht haben soll.
Gerd Schneider hegt jedoch wenig Zweifel an der Wahrheit und bekennt sich rasch zur Täterschaft Dominiks, womit im Verlauf ein weniger doppeldeutiges denn inszenatorisch stringentes Kammerspiel folgt, welches davon ablässt, kinematografisch wuchtige Szenen zu präsentieren. Stattdessen engt die Optik ein, je weiter die Kirche und deren auserkorene Schäfchen Lügen säen. Die Reaktion der Gemeinde bleibt nicht aus – doch die Priester setzen in einer zahmen Dampfplauderstunde auf die Unschuld ihres Zöglings, der ebenso „Opfer einer Falschbeschuldigung“ sein könnte. Die Titel gebende „Verfehlung“ scheint bei Schneider so nicht zwingend die Straftat des Missbrauchs an sich zu sein, sondern der Apparat hinter einer Institution, die sich mit Begriffen wie Moral, Absolutismus und Glaubwürdigkeit unter dem blauäugigen Mantel Christi schmückt. Bis einer aufmuckt. Doch selbst dann will niemand der Lüge widersprechen. Als Jakob zum Kardinal drängt, sagt dieser nur: „Die Kirche ist eine Mutter. Und eine Mutter schlägt man nicht.“ Davon kann Schneider vermutlich ein Lied singen, studierte er doch katholische Theologie und war Priesteramtskandidat der Erzdiözese Köln, bevor er sich dem Film zuwandte. Vielleicht ist sein Debüt deswegen klug, mutig und sich um keine Frage zu schade, um keine schmerzende Antwort zu müßig. Sein Ensemble um den großartig zweifelnden Sebastian Blomberg komplettiert die rigide Umsetzung ohne Schnörkel.
Es bleibt ein müder Witz am Ende des Films in der Kehle stecken. Sagt ein Priester zum anderen: „Die meisten Leute halten uns für merkwürdig.“ Und das Kreuz an der Wand wackelt mehr als bedenklich.
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