Es ist der 16. September 2014 und Netflix startet in Deutschland. Seitdem fördert der amerikanische Streaming-Dienst auch hierzulande die Seriensucht vieler Menschen, insbesondere weil er auf das fantastische Konzept zurückgreift, die Staffeln seiner Eigenproduktionen am Stück zu veröffentlichen. So wurden erst kürzlich alle dreizehn charmanten Folgen der ersten Staffel von Tina Feys „Unbreakable Kimmy Schmidt“ veröffentlicht und verursachten innerhalb kürzester Zeit einen neuen Hype im Netz. Anders als beispielsweise HBOs Politik, eine Folge pro Woche zu veröffentlichen, muss Netflix keine Angst vor Leaks haben und die Menschen können ungehemmt – wann, wo und wie sie wollen – ihrer Sucht nachgehen. Ein Laster, dem man gerne verfällt.
Selbst wer mit „Marvel’s Daredevil“ vorher noch nie in Berührung kam, weder den Comic noch die Verfilmung mit Ben Affleck kannte, fällt nun jedoch durch Drew Goddards Netflix-Reinkarnation in einen unerwarteten Abgrund. In unglaublich düsteren Bildern erzählt die Serie den Beginn von Daredevil, den seiner Freunde und Feinde. Daredevil heißt im echten Leben Matt Murdock (Charlie Cox), ist seit einem Unfall in der Kindheit blind und hat gerade mit seinem Freund Foggy Nelson eine Anwaltskanzlei im New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen eröffnet. Da Murdock seit dem Unfall über besondere Kräfte verfügt, geht er aber nicht nur vor Gericht gegen Übeltäter vor, sondern streift auch nachts durch die Straßen New Yorks, um Böses zu verhindern.
Von den Spielfilmen des philippinischen Regisseurs Lav Diaz einmal abgesehen, haben Serien sehr viel mehr Zeit als Filme, um Charaktere aufzubauen und dramaturgische Wendungen herbeizuführen. Das soll die Qualität des Drehbuchs von Goddards „Daredevil“ allerdings nicht schmälern: Der Aufbau der Serie ist außergewöhnlich gelungen, die Wendungen spannend, die Cliffhanger ausgezeichnet. Die Serie vermittelt einen ernsten Grundton und lässt den Zuschauer vergessen, dass es sich um eine Marvel-Verfilmung handelt. Obwohl die Filme der Comicschmiede zwar funktionieren, aber stets brav sind, überrascht „Daredevil“ durch abgetrennte Gliedmaßen, eingeschlagene Köpfe und mehr Opfer als einem lieb ist. Außerdem darf behauptet werden, dass ein Bösewicht hier die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Sind Schurken anderswo allzu oft Mittel zum Zweck, ein Action-Feuerwerk zu rechtfertigen, gelingt die Darstellung Wilson Fisks bei Goddard hervorragend. Fisk scheint Daredevil sogar in vielerlei Hinsicht ähnlich zu sein. Die Ziele des bösen Mannes, der Hell’s Kitchen zuerst brennen und dann neu auferstehen lassen möchte, können sogar im Ansatz gut geheißen werden.
Und dennoch feuert der Zuschauer, wenn es hart auf hart kommt, Daredevil an. Ein Held, der zwar auch Gewissensbisse und Probleme hat, aber – anders als bei vielen Filmen – endlich ein Held sein möchte. Auch wenn niemand in Hell’s Kitchen seine Hilfe möchte, weiß er, dass die Stadt ihn braucht. Schön, dass es auch noch solche Superhelden gibt, die nicht die ganze Zeit jammern, sondern lieber Knochen brechen. Aufgrund der ausgezeichneten Mundpropaganda, die „Daredevil“ momentan genießt, wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis eine neue Staffel angekündigt wird. In den ersten dreizehn Folgen wurde schließlich genügend Interessantes angeteasert, um viele weitere Folgen zu rechtfertigen. Der Teufel von Hell’s Kitchen darf also gerne zurückkehren.
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